Willkommen!
Das Frischeste aus den Büchsen der Musen
Meine Empfehlungen
 Short-Stories
Schneeblondchen
Reiseberichte
Höllisch gute Himmelsstories
Käthe un Änne...
Gästebuch
Blog
Geschichten von Gastautoren




 Es war eine jener heißen Sommernächte, wie sie in westdeutschen Sommern so typisch sind: Sternenklare Himmel, zirpende Grillen und kein Lüftchen, das sich bewegt. Dazu kam noch vollmondige Beleuchtung. Wie sollte man dabei vernünftig schlafen können? In einem seltsamen Zustand zwischen Wachsein und Dämmerschlaf wälzte ich mich in meinen Laken herum.

Ich traute meinen Augen nicht, als plötzlich ein seltsam gekleidetes, nennen wir es ruhig … Subjekt, vor meinem Bett auftauchte. Felsenfest davon überzeugt, dass es sich um die Nachwirkungen eines hektischen Tages, zu viel Sonne oder einem winzigen Schluck zu viel guten Rotweines aus dem Medoc handelte, ignorierte ich den seltsamen Geruch, welcher mich an Schwefel und billigstes Rasierwasser denken ließ. Wahrscheinlich würde ich gleich aufwachen. Obwohl – eigentlich war ich felsenfest davon überzeugt, nicht zu schlafen. Ich drehte mich auf die andere Seite, als das – Subjekt anfing, auf mich einzureden …

„Hi, biste wach? Luzifer ist mein Name!“

Aha – hatte ich nicht als Einschlafhilfe eine oder zwei Passagen in einem Buch eines gewissen Stephen King gelesen? Bestimmt spielte mir meine Phantasie nun einen, zugegeben bösen, Streich. Ich konnte nicht anders, ich drehte mich wieder herum. Garantiert war dort niemand!

Die Person, die dort vor meinem Bett in lässiger Pose herumlungerte, war alles andere als hübsch. Fettige Haare, zu einem schmuddeligen Zöpfchen zusammen gebunden, abgewetzte Lederklamotten, so wie sie abgehalfterte „Hells Angels“ tragen. Zu allem Überfluss trug der Fremde auch noch eine überdimensionierte Sonnenbrille. Mitten in der Nacht!

„Brauch’st Dich nicht zu erschrecken. Ich bin es nur, der Teufel!“

Na klasse, dachte ich, soo schlecht warst Du doch eigentlich nicht in deinem bisherigen Leben, dass du ausgerechnet die Ewigkeit in der Hölle verbringen musst. Oder hatte mich etwa jemand zum Teufel gewünscht? Der Vollmond schien völlig desinteressiert durch das Fenster, mein Ehemann schlief den Schlummer aller gerechten Seelen, direkt neben mir – nur ich hatte augenscheinlich ein nächtliches Stelldichein mit dem Satan.
„ER will mit Dir sprechen. Am besten jetzt gleich. Hast’ aber durchaus noch Zeit genug, Dir etwas Bequemes anzuziehen!“

Okay, am besten ließ ich mich auf diesen irren Traum ein. Konnte ja sein, dass ich schon längst nicht nur völlig abstrus träumte, sondern womöglich auf dem Dachfirst schlafwandelte. Da sollte es besonders gefährlich sein, sich zum Aufwachen zu zwingen. Oder war es einer dieser berühmten Wachträume, von Psychologen weltweit angepriesen zur Klärung tiefenpsychologischer Macken? Angeblich konnte man seinen Traumverlauf steuern, in jede beliebige Richtung. Aber in welche Richtung sollte ich …? Fragen stellen, das war’s!

„Wer ist ER?“ Selten dämliche Frage, aber immerhin hatte ich mich zu Wort gemeldet.

„Das Weibchen weiß nicht, wer ER ist?“ Luzifer brach in ein gackerndes Lachen aus. „Wenn ER das hören könnte, … ich lach mich scheckig … sie weiß nicht, wer ER ist!“

„Leise, mein Mann …“ Zum Teufel noch mal, warum sagte ich das? Der einzige mögliche Zeuge meiner nächtlichen Unterhaltung schlief selig weiter.

„Keine Angst, nur Du kannst mich hören und sehen. Einer der Vorteile meiner Existenz.“

„Und riechen!“ rutschte es mir heraus.

„Wie ich sehe, bist’e im Vollbesitz deiner sensorischen und geistigen Fähigkeiten. Sehr gut. Ich hatte, ehrlich gesagt, befürchtet, dass Du einer von diesen labilen Schreiberlingen wärest, die sich unter der Bettdecke verkriechen und schlussendlich in der irdischen Psychiatrie landen. Aber wir sollten so langsam aufbrechen, ER wartet nicht gerne, kenn ich aus eigener, leidvoller Erfahrung.“

Ich weiß bis heute nicht, wie ich es schaffte, aus dem Bett zu kriechen, mein bestes Sommerkleid aus dem Schrank zu nehmen, mich anzuziehen und sogar – soweit ich mich erinnere- auch noch Make-up aufzulegen. Eine Dame geht schließlich nie ungeschminkt aus dem Haus! Jedenfalls drehte sich Luzifer diskret um, als ich mich anzog. Er trat sogar höflich zur Seite um mich ins Bad zu lassen. Als ich die Badezimmertüre wieder öffnete, fiel der Lichtstrahl auf den Teufel. 

Zum ersten Mal sah ich den Leibhaftigen leibhaftig und im vollen Licht vor mir. Was ich sah, machte ihn nicht hübscher. Im Gegenteil, er sah aus, als hätte er seit mindestens 10 Jahren keine Badewanne oder Dusche benutzt, die zwei Hörner auf seinem Kopf waren fürchterlich verhornt und in der Lederkleidung schienen Unmengen an Motten zu nisten. Hoffentlich setzen die sich nicht in meinen Kleiderschränken fest, dachte ich nur und verlor im gleichen Moment das Bewusstsein …

Ich erwachte auf einer weichen Couch, so weich, wie ich mir als Kind immer Wolken vorgestellt hatte. Über mir erstreckte sich ein tiefblauer Himmel, leise „Chill-out - Music“ erklang und in der Luft lag ein Duft nach blühenden Magnolien, Lavendel - und Schwefel. Die Temperatur war angenehm, ein Hauch von Luftzug strich über meine Haut. Die Hölle hatte ich mir eigentlich völlig anders vorgestellt! So konnte ich damit durchaus leben, zumindest nach meinem bisherigen Erkenntnisstand.

Eine mir unbekannte Frau mit fein geschnittenen Gesichtszügen und einem Kostüm bekleidet, von dessen Preis sogar Millionäre bilanztechnische Alpträume bekommen würden, beugte sich zu mir herunter. „Schön, dass Sie da sind! Kann ich Ihnen eine Erfrischung reichen, oder benötigen Sie noch eine kleine Weile, um völlig wach zu werden? ER erwartet Sie schon, hat mir aber die eindeutige Anweisung gegeben, dafür zu sorgen, dass Sie sich erst von der Anfahrt erholen.“ Die Frau hielt mir ein Glas entgegen. „Ich bin übrigens die heilige Katharina, Chefsekretärin von IHM! Aber sagen Sie ruhig Kathi zu mir, das machen alle hier oben.“

„Oben? Ich dachte, ich wäre …“ stotterte ich.

„Das glauben alle. Sie dachten bestimmt, weil Luzifer Sie abgeholt hat, würden Sie zu ihm runter ins Tiefgeschoss müssen.“ lächelte Katharina, „Ihre Zeit ist noch nicht gekommen, keine Angst! Der Chef möchte mit Ihnen etwas besprechen, deshalb sind Sie hier. Petrus ist zurzeit etwas überlastet, und auch die Erzengel haben einen vollen Terminkalender. Deshalb haben wir Luzi gebeten, mal runter auf die Erde zu fahren und Sie abzuholen. Rudi und Klausi haben ihren Schlitten leider auch noch in der Inspektion, wir mussten Sie also ent- und rematerialisieren. Ich hoffe, Sie haben alle ihre Gene noch beisammen, oder?“

„Äh…ja, ich glaube schon.“

„Gut! Sehr hübsches Kleid übrigens, was Sie tragen. Ich bin seit Jahren auf der Suche nach so etwas. Könnten Sie mir vielleicht sagen, wo Sie es gekauft haben?“

 Fassungslos murmelte ich: „In Schweden. Monsteräs….“
„Sehr gut, an meinem nächsten freien Tag werde ich dort mal hin rauschen. Oder würde es Sie sehr stören, wenn ich das gleiche …?“

„Nein, natürlich nicht.“ Was soll man einer Heiligen auch sonst antworten? Inzwischen hatte ich mich aufgesetzt und betrachtete meine Umgebung mit staunenden Augen. Die Couch, auf der ich gelegen hatte, war nicht nur weich wie eine Wolke gewesen, - es war eine Wolke! Ebenso die Wände. Einzig der riesige, voll bepackte Schreibtisch und der sehr bequem aussehende Stuhl dahinter schienen nicht aus Wolken zu bestehen, sondern aus hellem Holz.

Katharina ging, nein – laufstegte – zu eben jenem Schreibtisch und drückte auf irgendeinem Gerät irgendeine Taste. „Chef, ich glaube, unsere Besucherin ist so weit.“

Prompt öffnete sich eine bisher für mich unsichtbare, riesige Türe in einer der Wolkenwände. Durch sie schritt ein distinguiert aussehender, schlanker, völlig in Weiß gekleideter Mann. Der Anzug konnte nur von Armani sein, war der eigentlich schon tot? Selbst das volle Haupthaar war schneeweiß, es umrahmte ein freundlich lächelndes, etwa 50-jähriges Gesicht. Hier schien es entweder Turbobräuner der Extraklasse zu geben oder es schien dauernd die Sonne, auf jeden Fall war der Mann braun gebrannt.
Oh Gott, dachte ich, das ist bestimmt irgendein Sektentraum, den du gerade erlebst. 

„Stimmt beides nicht! Ich bin kein Guru oder Wunderheiler und Sie träumen auch nicht. Gestatten, mein Name ist GOTT, einfach nur GOTT.“

„Äh … ja … angenehm!“ stotterte ich. Verdammt, der Kerl konnte anscheinend Gedanken lesen. Und so was wollte kein Guru sein! „Und ich bin dann ja wohl im Himmel?“

 „Sehr gut erkannt. Ich wusste, dass ich mit Ihnen die richtige Wahl getroffen habe. Also,…“ der Mann setzte sich auf einen Wolkensessel, der aus dem Nichts aufgetaucht war. „Ich habe noch eine Besprechung mit den Cherubimen abzuhalten, danach empfange ich eine Delegation von Buddha. Lästige Termine, aber was sein muss, muss sein. Ich habe Sie von Luzi herauf bringen lassen, weil ich möchte, dass Sie einige himmlische Geschichten schreiben.“

„Herr Gott, ähem … ich soll was?“

„Geschichten über uns hier oben schreiben. Wissen Sie, auf der Erde ist meine Schöpfung ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Vor allem glauben die Menschen nicht mehr richtig an mich. Ich brauche mehr PR, trendige PR. Was die dort unten glauben, ist dermaßen altmodisch und überholt – ich sage Ihnen, wenn es hier so laufen würde, wie ihr dort unten es euch vorstellt, wir wären längst bankrott, pleite, hätten den Karren gegen die Wand …“

„Chef!“ Katharina fiel ihrem Vorgesetzten ins Wort. „Unsere Besucherin hat es bestimmt schon verstanden. Du hast nicht mehr viel Zeit!“

„Nun, Sie haben freien Zugang zu allen Archiven. Lassen Sie sich von den Heiligen erzählen, wie meine Firma aufgebaut ist. Luzifer wird Ihnen auch mit Freuden Auskunft über die Zustände in der Hölle geben. Mir schwebte vor, dass Sie einen kleinen Band mit Short-Stories fabrizieren. Ruhig auch etwas Lustiges. Auf jeden Fall sollte es etwas sein, das meinen Menschen Freude macht. Positive Informationspolitik, sozusagen. Katastrophen habt ihr unten ja selber genug produziert. Sie haben völlig freie Hand.“

Um mich herum fing alles an, sich zu drehen. Ich - ausgerechnet ich - sollte Geschichten über den Himmel schreiben? Wo ich nur sehr selten in die Kirche ging und überhaupt …. Mühsam hielt ich mich an den Resten meiner Selbstbeherrschung fest und fragte: „Was wird aus meiner Familie? Ich meine, Geschichten schreiben geht nicht von heute auf morgen, man wird mich vermissen – hoffentlich.“

Gott erhob sich. „Keiner wird es merken, wenn Sie nachts zu mir heraufkommen. Schließlich habe ich da so meine Möglichkeiten! Was das Honorar angeht – leider kann ich Ihnen da nicht viel bieten außer Beköstigung und Transport. Selig- und Heiligsprechungen hat der Papst für sich reserviert, ewige Glückseligkeit hat so ihre Haken und selbst der Einzug ins Paradies ist nicht mehr der, der er mal war. Adam und Eva haben nach einem erfolglosen Versuch, gemeinsam mit der Schlange einen sozialistischen Landwirtschafts-Kolchosebetrieb zu betreiben, die Lust am Gärtner verloren. Der Garten Eden ist mittlerweile völlig zu gewuchert und verwildert. Also, schlagen Sie ein?“

„Klar macht sie mit!“ Luzifer hatte sich unbemerkt materialisiert. „Ich hab’ in der Presseabteilung schon Bescheid gesagt, dass ein Mädel von der Erde hier demnächst rumstreichen und Fragen stellen wird. Meine Unterteufel sind auch schon voll im Bilde und stehen Harke bei Pferdefuß.“

Der Satan verströmte einen so intensiven Schwefel-Rasierwasser-Duft, dass ER sich angewidert abwandte. „Schon wieder ein neuer Eau – de – Toilette - Versuch? Würdest Du die Güte haben und ein klein wenig weniger beim nächsten Mal auflegen? Wir sind doch hier nicht im P….“

„Sprich es lieber nicht aus, Chef! Oder soll ich dich M.H. nennen?“

„Halt den Mund!“ Gott wandte sich wieder dem ursprünglichen Problem zu – meiner Person. „Nun, lassen Sie sich nicht von unseren Höllenfürsten hier abschrecken. Er spielt gerne einmal den Macho und starken Mann. Eigentlich ist er überhaupt nicht diabolisch fies. Ich muss jetzt leider in die Besprechung, Sie können ihre Entscheidung ja Kathi bekannt gegeben. Für meine Person würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mein Angebot annehmen würden. Ciao, Tschüß, Adjö, hasta la vista, ich verabschiede mich. Kathi – bringst Du uns gleich einen kleinen Milchstraßen- Shake rein? Du weißt ja, dass Uriel den so gerne mag!“
Mit federnden Schritten verließ Gott das Büro durch eine andere, sich plötzlich auf tuende, Tür in der Wolkenwand.

Wie meine Entscheidung ausfiel, können Sie sich denken. Wer schlägt schon das Angebot aus, zu Lebzeiten den Himmel zu erkunden? Neben Heiligen, Jungengeln, Unter- und Oberteufeln, reizenden Putten und aufreizenden Teufelinnen lernte ich so manches Geheimnis kennen.
Ich werde Ihnen nicht alle verraten, aber als kleinen Appetithappen liefere ich jetzt schon einmal die Erklärung für die beiden Vornamenkürzel des Allerhöchsten: 


M.H. bedeutet schlicht und einfach MEINE HEILIGKEIT …



 „Alle raus hier! In geordneter Zweier-Reihe zu den Transportfuhrwerken. Unterengel und Putten zuerst! Dalli, Dalli! Und nicht, dass ihr mir wieder Rudi und seinen Freunden dauernd auf ihren Nasen herumdrückt, ja? Die Notfallschalter befinden sich an den WÄNDEN!!!!“ Die Stimme aus den riesigen Lautsprechern, welche an jeder Arbeitswolke angebracht waren, dröhnte unüberhörbar durch den Himmel. Gott setzte seine ganze Stimmkraft ein, um Engel, Putten und sonstige Bedienstete möglichst schnell zu evakuieren.

ER hatte jedes Jahr diesen Schlamassel am Hals. Jedes Jahr aufs Neue wurden sämtliche Bewohner des Paradieses und der restlichen Himmelsbezirke zusammengetrommelt, gezählt und dann zu den Wolkenbussen, Schlitten oder den neuartigen Sicherheitsrutschen geleitet. Die Sicherheitsrutschen hatte Christophorus vor kurzem entwickelt. Unzufrieden mit den menschlichen Rettungsergebnissen bei Flugzeugunglücken war der Heilige mit einem Antrag zu ihm gekommen: Gott möge doch bitte eine göttliche Eingebung genehmigen, die lange Rutschen aus aufblasbaren Kunststoffröhren ermöglichte.

Als ER nicht sofort nachgeben wollte - warum wohl hatte er den Menschen keine Flügel verpasst? Wenn die Leute auf der Erde trotzdem auf dem Fliegen bestanden, mussten sie auch mit den Konsequenzen leben!-, war Christophorus gerade noch rechtzeitig das alljährliche Evakuierungsdurcheinander eingefallen. Um etliche Kilometer verlängert, mit speziellen Flügelschonbereichen für die Engel versehen und einer Sondergröße für die kleinen Wichtel - damit hatte er seinen Chef überzeugen können.

Der Heilige Christophorus rannte nun aufgeregt durch die Ströme von Cherubimen, Putten sowie winzigen Wichteln auf Arbeitsbesuch und versuchte, der „HimSec“ zu helfen. Die Cherubime der Himmels-Wachgesellschaft waren gar nicht davon erbaut, Chris galt überall als Pechvogel, der großzügig seine Glücklosigkeit auch an andere verteilte.

„Na los, macht schon! Ihr müsst hier raus! Wir haben nicht mehr viel Zeit!“ Christophorus rannte zwei Wichtel um, die nicht schnell genug ausweichen hatten können. Mühsam hielten die Kleinen ihre Zipfelmützen fest und versuchten, aus dem Gefahrenbereich des Heiligen zu kommen.

„Der Wolkenbus 2378 fährt gleich ab von Wolke 58. Bitte vom Cumulusrand zurücktreten und die Flügel anlegen.“ Chrissies Stimme hallte aus der Zentrale durch die Unendlichkeit. In den letzten Wochen hatte sie perfekt den ganz speziellen, gelangweilten Tonfall in ihrer Stimme herbeigeübt, den sonst nur die Sprecher von Zugansagen und die Arzthelferinnen beim Aufruf der Patienten hinbekamen. Das Christkind würde seinen Platz und den Himmel erst zusammen mit IHM, einigen leitenden Cherubimen und Christophorus verlassen. Kapitäne verließen immer als Letzte das sinkende Schiff!

Der heilige Pankratius zerrte einen riesigen Aktenschrank über die Schäfchenwolken. „Aus dem Weg! Das sind wichtige Unterlagen!“
 
Ein riesiger, grimmig aussehender Wachengel stellte sich ihm in den Weg. „Kein Gepäck, Hat ER doch gesagt!“

„Das ist kein GEPÄCK! Das ist meine Registratur!“

„Sieht aber aus wie Gepäck!“

Pankratius schüttelte resigniert den Kopf. „Wie kann man bloß so einen Volltrottel wie dich bei der „HimSec“ anstellen – das ist kein Koffer, sondern ein Aktenschrank! Und somit zählt das nicht als Gepäck!“

„Aktenschränke sind ebenfalls nicht erlaubt!“ beharrte der Wachengel. „Kann ja jeder seinen Kram einfach in so ein Ding packen und behaupten, das wären Unterlagen!“

Pankratius verlor die Geduld. „Geh mir aus dem Weg, du …“

Christophorus stürzte heran. „Hast Du Probleme, alter Freund?“ Mit unfehlbarem Instinkt hatte er die Chance erkannt, seinem alten Freund Pankratius einen Gefallen zu tun. Man wusste nie, wann sich das mal auszahlte. Christophorus stolperte über einen vorwitzigen Wolkenzipfel und landete unsanft mit der Nase auf dem Wolkenboden. Schnell rappelte er sich auf. „Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Oh Gott, du hast mir gerade noch gefehlt!“ stöhnte Pankratius. Sein ohnehin gelbliches Gesicht nahm vor Ärger einen leichten Grünstich an. „Dieser … Engel da will mich nicht mit meinem Aktenschrank…“

„Was willst Du denn auch mit deinem Aktenschrank unten in der Hölle? Das lohnt sich doch gar nicht für die paar Stunden!“ fragte Christophorus, während er seine Garderobe richtete. „Morgen früh sind wir doch alle wieder hier oben. Man kann es mit der Arbeiterei auch übertreiben, Panky!“

„Letzte Aufforderung! Sämtliche engelhaften, wichtelmäßigen oder puttigen Personen begeben sich direkt und auf der Stelle zu den ihnen bekannt gegebenen Abfahrtsstellen. Wer sich den Anordnungen der Wachengel widersetzt, darf damit rechnen, die nächsten 247 Jahre bei Luzifer als Heizer zu arbeiten. Ende der Durchsage!“ Die Stimme von IHM ließ nicht nur die Daunenmauern der Zentrale erzittern, sondern verursachte unten auf der Erde auch ein kleines Gewittergrollen. Ab und an musste ER mal ein Machtwort sprechen.

„Siehste, du musst deinen Aktenschrank hier lassen. Aber mach dir keine Sorgen, ich werde auf ihn aufpassen, während du im „Höllischen Tröpfchen“ einen Platz für mich freihältst. Der Chef, Chrissie und ich kommen ja auch bald nach…" versuchte Christophorus den traurig dastehenden Pankratius zu trösten.

iMit einem noch traurigeren Seufzer als vorher, einem sehnsüchtigen, Abschied nehmendem Blick auf den Schrank und schleppenden Schrittes trottete der heilige Pankratius davon.

Christophorus zerrte an dem Aktenschrank herum, sobald Pankratius außer Sichtweite war. Irgendwie musste dieses Ding doch zu bewegen sein, schließlich hatte auch Pankratius es geschafft, den Schrank hierher zu bugsieren. Stand mitten im Fluchtweg, das Ungetüm!

„Countdown läuft! Alle Bewohner des Himmels sind evakuiert. Leute, Flügel einziehen, tief durchatmen und Augen zu und durch. Wir und die Chefetage machen uns jetzt auch vom Acker!“ Chrissies Stimme klang gehetzt.

Der Heilige zerrte immer noch an dem schweren Gehäuse herum. Er würde noch die letzte Möglichkeit verpassen, sich in Sicherheit zu bringen, wenn er nicht allmählich dieses verdamm … nein, fluchen durfte er nicht … ER hatte bestimmt noch nicht die Überwachungskameras ausgeschaltet!

Urplötzlich gab eine der Schubladen des Schrankes nach. Christophorus fiel auf den Rücken, ein Schwall blütenweißer Papiere wirbelte in zierlichen Kurven durch die Luft und verschwand in der dunklen Erd-Nacht unter seinen Füßen. Im gleichen Moment schossen bunte Raketen durch die Wolkendecken, zischten haarscharf an den Ohren von Christophorus vorbei. Der himmlische Beauftragte für Pleiten und Pech fiel in Ohnmacht...

Unten auf der Erde aber wunderten und freuten sich die Menschen über das überirdisch weiße Konfetti, welches wohl in einer ihrer Silvester-Raketen verpackt gewesen war …

 


ER schritt unruhig auf dem Wolkenteppich seines Büros auf und ab. Warum machte er eigentlich jedes Jahr aufs Neue diesen Zirkus mit? Langsam, aber sicher hatte er die Nase voll. Zu seinen ohnehin schon überbordenden administrativen Aufgaben kamen nun auch noch unzählige Genehmigungspamphlete und Anträge, welche er durchlesen und entscheiden musste.
Manchmal beneidete er die Menschen. Zwar hatte er sie nach seinem Ebenbild geschaffen, aber die (unbeabsichtigte) Evolution hatte dafür gesorgt, dass wenigstens Top-Manager genügend delegieren konnten, um ihre Zeit für die wirklich wichtigen Dinge zu verwenden. Da übertraf die Kopie das Original.

„Spezialisierung ist manchmal schon für was gut.“ dachte er. „Hätte ich bei meinem Personal hier oben ein bisschen forcieren sollen …“

Sicherlich, er hatte einige Bereiche mit fähigen Leuten besetzt, die Weihnachtsabteilung und die Hölle waren beste Bespiele dafür. Chrissie, Klausi und Co. leisteten hervorragende Arbeit. Auch Luzifer, der alte Quälgeist, hatte die Untersektion „Fegefeuer und Plage“ voll unter Kontrolle. Nur die etlichen anderen Bereiche des Himmelskonzern, die warteten bei jeder kleinen Entscheidung auf sein O.K.!
 
Wenn er an den Heiligen Christophorus dachte, kräuselten sich seine Zehennägel. Dabei war der Schöpfer davon ausgegangen, dass dieser freundliche, aber etwas trottelige Heilige wenigstens den Verkehr auf Erden überwachen konnte. ERnocheinmal, Chris brauchte doch bloß vor den Monitoren in der Zentrale sitzen und ab und zu Schutzengel runterschicken. Stattdessen stiegen die Unfallstatistiken, auch wenn der Ansturm vor Petrus Pförtnerhaus, IHMselbstseidank, nicht mehr ganz so hoch war. Eine Zeitlang hatte der Allmächtige Chris die Leitung des himmlischen Schrottplatzes übertragen. Aber auch da hatte der Heilige versagt. Jeder Cherubim oder Unterteufel, der noch gebrauchsfähige Ersatzteile hatte kaufen wollen, war einfach von Chris abgewimmelt worden mit der Begründung, dass alles sein doch nur Schrott. Klar, das die Bilanz in den Keller ging.

Oder Gabriel: der gab zwar sein Bestes in der Abteilung „Funk-und Botendienste“, konzentrierte sich aber immer mehr, statt auf die Logistik, auf das Sammeln von Briefmarken. Häufig brachte er Briefe, die zerrissen oder durch Wassereinflüsse unleserlich geworden waren. Dann hatte Gabriel wieder einmal versucht, die wertvollsten Marken unter Wasserdampf abzulösen.

„Teufelsatanundkonsorten, Ruuuuuheee!“ schrie er. Direkt aus dem Nebenraum drang fürchterlich schiefe, aber umso lautere Marschmusik. Wahrscheinlich hatte der halbtaube Blasius wieder einmal seine Freunde Symphonarius und Balthasar zu Gast. Blasius übte gerne auf der riesigen Tuba, die ihm von Balthasar zum 800. Dienstjubiläum geschenkt worden war. Symphonarius sollte eigentlich dafür sorgen, dass auf der Menschenwelt schöne Musik komponiert und dargeboten wurde. Leider hatte sich das Vertrauen, das ER in den Heiligen der Komponisten gesetzt hatte, bisher nicht erfüllt. Im Gegenteil: der letzte unerträgliche Coup war die Inspirierung einiger Teenager gewesen, die aussahen wie Luzifer auf einem LSD-Trip. Und der Name der Gruppe, „Tokio-Hotel“, erinnerte nicht umsonst daran, dass sich in Japan häufig die Erde auftat … besonders wenn die Band spielte, schlugen die Seismographen aus.

„Haste gerufen, Chef?“ Mit einem leichten Duft nach Schwefel und angesengten Haaren erschien aus dem Nichts Luzifer.

„Eigentlich nicht so richtig. Aber da du gerade hier bist, könntest du mir die Bilanzen der Hölle mal zeigen.“ antwortete ER, „aber nur wenn Blasius nicht gleich wieder loslegt mit dieser Tuterei…“

„Ey, Boss, du willst von mir meine Bilanzen sehen? Is’ nich’ dein Ernst!“ Der Teufel schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel und riss sich drei Haare aus dem ungepflegten Vollbart. „Die hab’ ich Balthasar doch schon längst gegeben!“

„Ich habe aber nichts! Weißt du, Luzifer, als Schutzheiliger des Gastgewerbes scheint Balthi nicht gerade richtig besetzt zu sein. Ich habe öfters schon bemerkt, dass er lieber bei Kaspar und Melchior rumhängt. Warum läuft hier eigentlich nichts so, wie es laufen soll?“

„Machste vielleicht ne falsche Personalpolitik, Chef? Oder haste nu schon deine alljährliche Silvester-Neujahrsdepri? Mensch, Junge, komm’ wieder auf den Wolkenboden zurück und sei nicht so pessimistisch. Nur weil Arsenius als Gehilfe von unserem Pankratius die Rezepturen der Heiltränke noch nich’ richtig im Griff hat, brauchste doch nich’ so traurig sein. Un’ Katharina is’ im Vorzimmer doch echte Spitze. Matthäus hat auch am Letzten immer noch die Buchhaltung und die Finanzbehörde unter Kontrolle. Un’ die paar Mal, bei denen Mauritius blau war, weil er die Lese der ihm unterstellten Weinberge selbst gesoffen hat … also bitte mal, …“

GOTT zuckte nur traurig mit den Schultern. „Mir geht das alles hier auf die Nerven. Die Weihnachtsabteilung hat geschlossen Urlaub genommen, die Osterabteilung will mehr Geld in diesem Jahr …“

„Wenn du was an den Nerven hast, geh’ doch mal zu Cornelius. Der is’ doch spezialisiert da drauf. Oder ruf die Rita an. Schließlich ist die zuständig für aussichtslose Fälle. Deshalb hat sie ja auch die Telefonseelsorge am Hals. Ich kann dir ja ein paar Helfer von mir raufschicken.“

Der Herrscher über Himmel und Erde starrte Luzifer entsetzt an. „Nein danke, deine Art der Hilfe ist mir noch von Weihnachten im Gedächtnis. Du hast etliche Säcke mit Wunschzetteln einfach verfeuert. Was glaubst du, wie viel Kirchenaustritte es deshalb gegeben hat?“

„Na, wenn du keine Hilfe willst, dann rausch’ ich jetzt mal runter nach Hause.“ Mit einem lauten „Plopp“ verschwand Luzifer und hinterließ eine kleine Rauchwolke.

Gott aber goss sich erst einmal ein Glas mit Branntwein (aus der Produktion des Heiligen Franz) ein und legte sich auf die weiche Wolkencouch. Vielleicht fiel ihm ja ein, wie er den Himmel neu organisieren konnte. Und morgen, im neuen Jahr würde er Bernhardin von Siena rufen. Als Leiter der Werbeabteilung war der zwar auch nicht die Idealbesetzung, aber vielleicht hatte Bernie ja trotzdem einige Ideen …

10 Minuten später fand Hippolyt, der sich von seiner Safari zu den Nilpferden in Afrika zurückmelden wollte, den Allmächtigen tief schlafend und einigermaßen laut schnarchend auf der Couch vor. .. 

  



„Geht es auch ein bisschen leiser?“ GOTT versuchte, die Malerengel zu ignorieren und sich weiter auf die Akten zu konzentrieren. Der heilige Honoratius, Schutzpatron der Krämer, wartete schließlich schon einige Zeit auf die Absegnung seiner Bilanz.

Thomas rauschte herein, wie immer in himmelsuntypischem Schwarz gekleidet. Der Heilige war der Ansicht, als Architekten-Schutzherr müsste er auch aussehen wie der Hauptteil seiner Anbefohlenen.
„Ich grüße Dich!“ sagte er salbungsvoll und zupfte an der Fliege herum, die wie ein riesiger, schwarzer Propeller unter seinem Kinn prangte. „Bist Du zufrieden mit dem Fortgang der Arbeiten?“


ER hob widerwillig den Kopf. „Eigentlich ja … aber musst Du wirklich diese grässliche Farbe tragen? Sieht ja aus, als wenn meine Cherubime in Luzifers Kohlenkeller hausen müssten.“


„Mir gefällt’s!“


„Naja, wenn das so ist … aber ich hätte noch eine klitzekleine …“


„Änderung?“ fragte Thomas drohend. Er war bekannt dafür, dass er bei Bauherrenwünschen, welche nicht vor Beginn des Projektes geäußert und mit eingeplant wurden, sehr unwirsch reagierte.

„Nenn es einfach eine winzige Nuance…“ begann ER vorsichtig. „Weißt Du, eigentlich ist Flieder nicht so meine Farbe… ich meine, die Farbe ist ja schön, aber sie lenkt mich ab beim Arbeiten und…“


„Und was?“


„Ich habe, ehrlich gesagt, ein wenig die Befürchtung, dass man glauben könnte, ich …“


„Papperlapapp!“ sagte Thomas. „ Flieder ist in. Du wirst Dich dran gewöhnen. Sonst noch etwas?“

ER überlegte, wie er Thomas beibringen sollte, dass die Handwerkerengel nicht nur über Gebühr laut, sondern auch faul waren. Der Heilige hatte schon im letztjährigen Januar äußerst empfindlich auf seine göttlichen Verbesserungsvorschläge reagiert und einfach die Baustelle stillgelegt. Erst im Juli waren einige missmutige Unterengel von Baldowerus, dem Schlosser-Cherubim und Michael, dem Maler-Heiligen wieder angerückt. Der Schöpfer seufzte tief: jedes Jahr nach Silvester mussten die Einschusslöcher, welche seine Menschen durch die Feuerwerke verursachten, verputzt werden. Und jedes Jahr gab es die gleichen Diskussionen mit Thomas.

 
„Vielleicht könnten die Arbeitsengel etwas schneller…“

„Ich weiß gar nicht, was Du hast! Jeder Engel hat zwei Ausbildungsputten als Handlanger. Die Hälfte deines Büros ist doch schon wieder tiptop in Schuss!“


„Thomas, wir haben mittlerweile Ende Januar, seit fast einem Monat sitze ich hier in diesem Chaos zwischen Gips und Farbtöpfen. Solange kann es doch nicht dauern, in einem Raum die Löcher zu verputzen und ein wenig Farbe drüber zu kippen!“

„Pah. Farbe drüber kippen. Das ist mal wieder typisch für Euch Hobbyheimwerker. So einfach ist das auch nicht gemacht, mein Lieber. Zuerst…“


GOTT hob abwehrend die Hände. „Bitte, ich verstehe eh’ nichts von deinem Baukauderwelsch. Sieh bitte nur zu, dass ich möglichst bald hier an meinem Schreibtisch in Ruhe arbeiten kann. Mehr will ich nicht!“

Er erinnerte sich mit Schrecken an den zweistündigen Vortrag über die Vor- und Nachteile von Walm-, Sheet- und sonstigen Dächern, den Thomas vor einigen Jahren auf den Wolkenteppich gelegt hatte. Damals hatte der Allerhöchste die neueste innovative Idee des himmlischen Baumeisters abgelehnt: die Errichtung von feuerfesten Giebelhausunterkünften für die verlorenen Seelen in der Hölle. Luzifer hätte sich krankgelacht, wenn das Bauvorhaben durchgezogen wäre….

Der heilige Thomas runzelte die Stirn und zwirbelte wieder einmal an seiner Fliege herum. „War das alles, was Du mir sagen wolltest?“ fragte er mit leicht säuerlicher Miene.

„Dann werde ich mich wieder um die wirklich wichtigen Baustellen kümmern. Servatius hat Probleme mit herabfallendem Putz in seiner Kantinenküche und einige Puten sind durch die Silvester-Einschusslöcher im Fußboden auf die Erde abgehauen. Petrus sagte, die wären alle in diesen Discos untergetaucht und wären da jetzt in Gefahr, von deinen Menschen an die Nadel gehangen zu werden.“

 „Äh, … im Vorzimmer…“


„Was will deine Tippse Katharina denn jetzt schon wieder?“ stöhnte Thomas auf, während er sich schon zum Entschweben wandte.


„Sie meinte, dass diese moderne Fassadenmalerei vielleicht doch nicht so ganz in ihr Sekretariat passen würde…“

„HerrGottnocheinmal, Warhols Dosen sind hohe Kunst, keine Fassadenmalerei! Was kann ich denn dafür, dass Katharina keine Tomatensuppe mag? Die Fresken bleiben dran, ich muss mich in der Kantine schon dauernd diesem altmodischen Zeug von Michelangelo Buonarotti aussetzen. .. außerdem warten Adam und Eva auf mich. Ich habe mit denen einen Termin für den Umbau ihrer Einmachküche. Du solltest vielleicht mal dafür sorgen, dass dieser Apfelbaum ein bisschen weniger trägt, sonst kriegen die beiden noch einen anaphylaktischen Schock. Adam hat immer dicke Lippen, wenn er Eva’s Gekochtes essen muss. Ewig und drei Tage lang Apfelmus kann ja wohl auch nicht gesund sein.“ Thomas rauschte davon, ohne einen Abschiedsgruß an den obersten Herrn im Himmel zu richten.

GOTT setzte sich völlig erschöpft wieder an seinen Schreibtisch. Das Gespräch mit Thomas war besser gelaufen, als er erwartet hatte. Und an fliederfarbene Bürowände würde er sich bestimmt auch noch gewöhnen…




ER fror erbärmlich, zitterte am ganzen Körper. Der heilige Eustachius hatte seinen Aufgabenbereich, alles was mit Klempnerei zusammenhing, offensichtlich nicht im Griff. Da halfen selbst die Thermo - Schäfchenwolken - Decken nix, GOTT klapperte mit den Zähnen. Alles nur, weil Thomas, der Architekten-Beauftragte, mitten im Winter auf die Idee gekommen war, den Himmel zu renovieren. Dabei hatte GOTT sich gerade an die Flieberfarbenen Bürowände gewöhnt.


Wer, zum Teufel, hatte diesem rollkragenbestücktem Halspropellerträger eigentlich den Floh ins Ohr gesetzt, dass sogar die Heizungsanlage aus der Vorzeit stammte und dringendst erneuert werden musste? Die ganze Angelegenheit hätte doch auch bis in den Sommer hinein warten können. Aber nein!


Thomas war mit einem riesigen Haufen an Plänen und Prospekten bei IHM im Büro aufgekreuzt, hatte die Unterlagen auf dem Schreibtisch einfach weggefegt und begonnen, mit einem dicken, natürlich schwarzen, Stift die Grundrisse zu verändern. Mit energischen Strichen waren Wolkenwände eingerissen, neue eingezeichnet und sogar die Raumzuordnung geändert worden. GOTT sollte jetzt nach dem Willen des heiligen Thomas zentral residieren, die Büros der himmlischen Abteilungsleiter bildeten einen Kreis um sein Arbeitszimmer.

Der Allmächtige stöhnte auf. Allein der Gedanke, dass er Wand an Wand mit Blasius sitzen sollte, trieb ihm den kalten Angstschweiß auf die Stirn. Soviel Engelshaar gab es im ganzen Paradies nicht, um sich damit ausreichend die Ohren zu stopfen. Der Patron der Musiker – insbesondere der Blasmusiker- würde den ganzen lieben langen Tag auf seiner Posaune üben oder ein Requiem für Tuba und Waldhorn komponieren. Die anderen personellen Alternativen waren auch nicht gerade verlockend.

 
Christophorus zum Beispiel: garantiert würde dauernd irgendetwas schief gehen, ER konnte schon förmlich vor seinem inneren Auge sehen, wie Chris die Gänge entlang stolperte und Unfälle verursachte.


Oder Lukas: als Schutzherr der Künstler war Lukas bekannt für seine theatralische Ader. Jedes Gespräch mit ihm artete in ein dreiaktiges, dramatisches Solostück aus. Ganz zu schweigen davon, dass der Heilige nur allzu gerne Bildhauern sein Büro zur Verfügung stellte. Letztens erst, vor einigen Jahrhunderten, hatte dieser Michelangelo jahrelang die gesamte Abteilung „Kunst und Kultur“ mit Marmorstaub bedeckt und die Wände angemalt.


An die langen Warteschlangen vor der Tür von Franz, dem Sozialarbeiter-Heiligen, wagte der Gebieter gar nicht zu denken. Nicht nur massenhaft Tiere, auch abgehalfterte, erschöpfte Arbeitsteufel, ausgepowerte Wichtel und psychisch instabile Cherubime würden die Flure bevölkern. Auch Branntwein-abhängige Unterengel wären da.

GOTT fröstelte und versuchte, sich mehr einzumummeln. Was nicht so ganz gelang, da er zwar in seinem Chefsessel kauerte, aber dieser nicht in seinem Büro, sondern mitten auf einer besonders stark glitzernden Wolke stand. War bestimmt eine Wolke aus der Arktis. Oder Antarktis. Da war es noch kälter als am Nordpol. So kalt wie hier…


Seine Gedanken kehrten wieder zurück zu den Umbaumaßnahmen. Das einzig Gute war, dass Bernie, der Barkeeper-Verantwortliche, Bonifatius als Patron der Bierbrauer und Balthasar (diesmal nicht in seiner Eigenschaft als König aus dem Morgenland, sondern als Schutzherr des Gastgewerbes) in der Nähe sein würden. So konnte er leichter mal an der heiligen Katharina vorbeischleichen und sich einen guten Schluck genehmigen. Die drei Heiligen hatten bisher immer einige Flaschen in ihren Aktenschränken versteckt gehabt. Das würde sich auch nach der Renovierung nicht ändern.


Katharina, die Vorzimmer-Heilige, war äußerst energisch. Kompetent, aber bestimmend. Der Boss tanzte nach ihrer Pfeife, wie alle guten Chefs es taten, im Himmel und auf Erden. Sollte er seine Kathi vielleicht mal auf einen Besuch in die Kaffeehäuser des heiligen Vinzenz einladen? Konnte ja sein, dass sich das Verhältnis so etwas entspannen ließ und er etwas mehr persönlichen Freiraum bekam …

„Alles paletti?“ In Karnevalskleidung (dreilagig) eingepackt erschien Filippo vor IHM. „Oder soll ich Dir eine Palette bringen? Hahaha …“

Verständnislos blickte ER den Humoristen an. Den Witz hatte er nicht verstanden. War aber auch kein Wunder – Filippo’s Komikversuche waren berühmt-berüchtigt für ihre Pointenlosigkeit. „Lass mal gut sein, Filippo. Ich friere nur ein wenig.“

„Mach Dir doch warme Gedanken! Hahaha …“

ER hatte genug. „Weißt du was, du Komiker? Ich geh’ jetzt ins Warme!“


„Die warmen Brüder sind momentan aber schon ausgegangen, hahaha …“


Das Gesicht von IHM verzog sich mühsam zu einer, gerade noch unangenehm zu nennenden, Grimasse. „Ich geh’ runter zur Konkurrenz. Kommst Du mit?“


„Zu Luzifer? Immer. Die restliche Himmelsbelegschaft hockt sowieso schon im „Höllischen Tröpfchen“. ..“

Luzifer rieb sich die Krallen. Der Umsatz in Inferno-Viertel stieg in ungeahnte Höhen. Der gesamte Himmel war halb durchgefroren in seinen Spelunken geflüchtet und taute langsam bei heißem Punsch wieder auf. Einige der Heiligen und vor allem die Wichtel waren sogar bei reizenden Teufelinnen unter die Bettdecke geschlüpft. Natürlich hatten die Preise für solche Wärmedienste enorm angezogen, seitdem der Höllenherrscher den Deal mit Thomas gemacht hatte.

Ein hämisches Grinsen stahl sich auf die infernalisch-schaurig-schönen Gesichtszüge von Luzifer. Thomas war immer so leicht für Projekte zu begeistern, und dass der Architekten-Heilige mit 20 Prozent am Umsatz des Getränkeausschankes beteiligt war, hatte den Schutzpatron vollends davon überzeugt, dass der Himmel und dessen Heizung dringendst umgebaut werden musste. Ob es Winter war oder nicht…

 



„Ja, haben denn hier alle Heiligen einen Schein?“ GOTT schüttelte verständnislos sein Haupt und versuchte, langsam und gleichmäßig zu atmen. Mit seiner Linken fühlte er seinen Puls am rechten Handgelenk. War schon wieder unregelmäßig, kein Wunder, wenn er sich so aufregte.


So etwas hatte er hier oben noch nicht gesehen: überall Konfetti und bunte Schlangen. Die Schlangen hatte mit Sicherheit Bea, diese verruchte Kreatur ohne Rückgrat, aus der Gärtnerei Eden hierher geschickt. War mal wieder typisch. Sicherlich hatte Bea mit allergrößtem Vergnügen ihre Brut angewiesen, sein Arbeitszimmer zu bevölkern. Er schob unwirsch eine junge Schlange aus seinem Gesichtsfeld, die sich geschmeidig an seinem Garderobenständer entlang wand. Sein Büro war übersät mit wolkenweissen, morgenrotrosa und himmelblauen Papierschnipseln. Nur mit Mühe konnte er unter all dem Chaos seinen Schreibtisch ausmachen. Dann watete er durch die Konfettiberge, wischte mühsam seinen Chefsessel frei und setzte sich.

Ein nicht ganz zerrissenes Blatt fiel ihm auf. ERnocheinmal, das konnte doch nun wirklich nicht wahr sein! Irgendjemand hatte anscheinend seine gesamte Aufstellung für das Jahresbudget zerhäckselt. Seit drei Wochen hatte er Tag um Tag über dieser Statistik gebrütet. Heute hatte er die Liste kopieren wollen...Es klopfte an der riesigen Bürotür.


„Herein!“

Augustinus trat herein, mit einem seltsam aussehenden Käppi auf der Glatze und einem riesigen Bierkrug in der Hand.

„Helau, Chef! Ich bring' Dir auch einen Humpen, wenn du willst!“


ER starrte den Heiligen und Schutzpatron der Bierbrauer an. „Was ist hier los?“


„Nix... ich meine, nix Schlimmes. Wir dachten nur...“


„Wer ist wir? Und was dachtet ihr?“


„Na ja, Franz, Apollinaris,Gereon und die Uschi natürlich... wir dachten, es wäre doch mal eine Abwechslung....“


„Wenn was?“ SEIN Gesicht verzog sich zu einer drohenden Grimasse.


„Also: Apollinaris ist ja, wie du weißt, der Patron von Düsseldorf. Gereon und Uschi sind für Köln zuständig. Bei der letzten Supervision mit Franz kam das Gespräch auf die Bräuche der Menschen unten. Na, da haben Apolli...“


„Da haben also unsere Stadtbeauftragten von den Bräuchen berichtet? Genauer, Augustinus. Und ein bisschen flotter, wenn ich bitten darf!“


„Tja, was soll ich sagen ... Franz meinte, nach Weihnachten wäre das Karma hier oben immer so ausgelaugt. Durch die ganze Arbeit im Advent und...“
ER erhob sich aus seinem Sessel und blickte den Bierbrauer-Heiligen drohend an. „Augustinus!“

„Franz meinte, es wäre doch sicher gut für die Seelen der Engel und Heiligen, wenn man es den Menschen nachtäte und auch bei uns Karneval feiern würde. So zum Frustabbau...“

 

„Seid ihr noch mit irgendeinem Fünkchen heiligen Geist versehen?“ schrie ER. „Wer soll denn hier oben Frust haben außer mir?“

Ehe GOTT weiter brüllen konnte, stürmte Sebastian herein, wie immer im top-modischen Sportanzug, neuesten Laufschuhen und mit einer knallroten Pappnase vor dem Riechorgan. „Helau, Alaaf und so weiter. Gustl, wo bleibt's den du? Des mit dem Fasching, des is oa saugute Idee g'wesen, soag i dir! Hoast den Oalden überzeuge könner?“


Augustinus verdrehte die Augen und plusterte die Wangen auf.
Erst jetzt nahm der Abteilungsleiter der Sektion „Sportunfälle“ wahr, dass ER mit verschränkten Armen und grimmiger Miene ebenfalls im Raum stand. „'lullja, sag i! Chef, hier hoast a Pappnaserl und an Hüterl. Du moachst do mit, gelle?“

 

GOTT schüttelte vehement den Kopf! Niemals! Nicht ER!

Er amüsierte sich prächtig. Franz hatte seinen uralten Brannntwein aus dem Keller in der Arktis geholt, Blasius und seine Kapelle spielten Lieder von einer Gruppe namens „Höhner“ und die gesamte Belegschaft des Himmels schunkelte was das Zeug hielt. Nur dass GOTT von der heiligen Agathe zusätzlich zu der Pappnase und dem Clownshütchen noch kleine, infernopinke Plastikhörner aufgezwungen bekommen hatte - damit konnte er sich nicht so ganz anfreunden!





Gott gähnte verstohlen. Seit geschlagenen drei Stunden saß er nun schon hier in der Sitzung, hörte sich ermüdend uninspirierte Beiträge an und versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Warum nur hatte er sich bereit erklärt, den Vorsitz zu übernehmen, fragte er sich. Und weshalb fühlte er sich auch noch dafür zuständig, die Besten unter den Schlechtesten auszusuchen? Manchmal hasste er sein Pflichtbewusstsein!


Eine endlose Reihe von Heiligen war aufgetreten, hatte mehr oder weniger witzige Reden gehalten oder ebensolche Liedchen geträllert und unter dem müden Beifall der Mitbewerber die Bühne verlassen. Momentan gab der heilige Veit in der Maske eines Ministers für Technologie einen Tanz zum Besten, gemäß seiner Schutzbestimmung als Patron der Kohlenschipper in die dreckigste Kluft gehüllt, die Luzifer in der Hölle auftreiben konnte.

Der Allmächtige hüstelte, als eine Rußwolke bei einem besonders akrobatischen Hüpfschritt aus dem Kostüm von Veit zu seinem Podest- Sitz empor wirbelte. Als der Heilige bei einem erneuten, aber missglückten Sprung seinen Tanz mit einem lauten „Aua“ und dem schmerzhaften Aufprall auf seinem Hinterteil beendete, setzte die Kapelle von Blasius lautstark ein: „Tätää, Tätäää, Täääätäääää!“
Auch die von dem neben ihm sitzenden Luzifer, (diesjährig in eine Garderobe gehüllt, die vage an die Mischung aus texanischem Präsidentschaftskandidaten und einem nach Sibirien ausgewanderten Ölscheich erinnerte), ausgehende Duftwolke machte dem Herrn über Himmel und Erde das Absitzen der himmlischen Prunksitzung nicht einfacher. Ranzige Erdnussbutter mit Chanel Nr. 169c war dagegen eine frische Sommerbrise.

Was hatte er nicht schon alles über sich ergehen lassen?
Zuerst Genesius, der als Tänzer-Patron mitsamt einem Funkenmariechen auf die Bühne stolziert war. Der schlanke, nicht sehr kräftige, Heilige hatte sehr, sehr viel Mühe gehabt seine Partnerin Dorothea im Zaum zu halten, fast wäre die Hebefigur schiefgegangen. Die heilige Doro war standhaft, besaß rubensche Formate und galt als züchtig. Eben wie es sich für eine Schutzheilige der Bräute gehörte – und eben dieser Umstand erschwerte im wahrsten Sinne des Wortes die Versuche von Genesius, seine Tanzkollegin in die Lüfte zu heben. Nicht nur, dass er im Gewichtheben immer schon extrem unerfolgreich gewesen war, Doro achtete sehr darauf, dass er nicht in die durch einen Keuschheitsgürtel geschützten Bereiche ihrer Weiblichkeit geriet. Hatte er sie endlich soweit, dass ihr Hinterteil auf seiner hoch erhobenen Hand platziert war, schrie sie entsetzt auf und schlug ihm hysterisch mit ihren Händen auf die Ohren.
Einzig Gambrinus, als Mischung aus Horst Seehofer und Peer Steinbrück kostümiert, fand die übergewichtigen Kurven des Tanzmariechens toll … hatte er doch als oberster Koch der Himmelskantine den gewagten Spagat zwischen Verbraucherschutz und Finanznot durch das Minimieren der Portionen bei gleichzeitiger Aufstockung der Kalorien erst für die ausladende Figur von Doro gesorgt.

Danach hatte sich Jodokus als Justitia zur Bütt getastet und seine Rede mühsam von dem in Blindenschrift verfassten Blatt abgetastet. Immerhin gab er sich alle Mühe, seinem Patronat gerecht zu werden – um die Augen hatte er eine blickdichte Binde gebunden. Der Inhalt der Büttenrede lief im Grunde darauf hinaus, dass alle, die mit Blindheit geschlagen seien, eigentlich viel tiefer blicken konnten …

Gott rätselte noch immer, was eigentlich daran lustig sein sollte. Erst Recht als der Vorträger sich in Freiheitsstatuen- Pose hinstellte und mit der Stimme von George Bush einem imaginären Guantanamo-Häftling die Vor-Rechte erklärte, die jener als Sehender hätte.
Elia (auftretend mit einem riesigen Cello und einem Gummigesicht, das Wolfgang Tiefensee ähnlich sah) und Franziska (als „Gelber Engel“ verkleidet) echauffierten sich über Tempolimits, Straßenbauarbeiten und sonstige Ärgernisse für Automobilisten. Wozu auch Fahrradfahrer und Fußgänger gehörten. Ein als Sigmar Gabriel verkleideter Zuschauer röhrte daraufhin Parolen über Umweltschutz, Klimawandel und Reaktorsicherheit in den Vortrag hinein, sodass sich der gerade hinter der Bühne von seiner Augenbinde befreite Jodokus genötigt fühlte, mit einer Horde von Ordnungshüter-Putten den Gast aus der Veranstaltung zu entfernen.
Bruno legte dann eine seinem Fachgebiet entsprechend besessene Liturgieverballhornung auf die Bühne, gefolgt von einer weiteren Tanzeinlage der als Dick und Doof daherkommenden Hyazinthus (Entbindungsreferat) und Germanus (Referat Idiotie, Irrsinn und Schulausbildung). Germanus verstieg sich sogar zu einer pantomimischen Darstellung der Pisa-Noten in Deutschland, während Hyazinthus Kopf- und Fußnoten mit wenig tänzerischem, aber umso mehr körperlichem Einsatz interpretierte. Die Waldorf-Philosophen hätten ihre Freude gehabt. Mitten hinein platzte eine forschend um sich blickende Annette Schavan, wurde aber sofort wieder von der Bühne gescheucht.


Amalberga präsentierte als Heidemarie Wiczoreck-Zeul eine schaurig-unschöne Geschichte in Jamben über die Gefahren der Seefahrt, insbesondere bei Schiffbruch. Dabei ließ sie sich außerdem zu einer Moritat über einen sinkenden Exxon-Valdus-Tanker.
Richtig schlüpfrig wurde es beim Vortrag von Valentin: seine Rede mit Ratschlägen zur Bewahrung der jungfräulichen Unschuld brachte zwar den Saal zum Kochen, aber auch die Falten auf Gottes Stirn ans Runzeln. Daran änderte auch sein Kostüm als „Papa Ratzi“ nichts. Kasimir indes hatte sich als Schäuble verkleidet und wetterte gegen Vaterlandsfeinde.
Der Allmächtige seufzte tief. Jedes Jahr schien es schlimmer zu werden … warum nur hatte er erlaubt, dass auf der Erde seine närrischen Menschen den Sitzungs-Karneval erfanden?

 

Und warum nur hatte er zugelassen, dass diese schwachsinnige Schöpfung zum Maßstab für himmlische Gepflogenheiten wurde?


Warum hatte er überhaupt den Menschen erfunden?



Luzifer war sauer. Stinksauer, um genau zu sein. Er tobte in seinem, nach Schwefel und vergammelten Höllenabfällen stinkendem, Büro im „Office - Area“ des Infernos. „Hast Du dir eigentlich mal überlegt, was meine Gäste sagen, he? Aber Dir kann das ja egal sein. Du sitzt gemütlich in deinem Chefsessel und lässt Dir deinen himmlischen Alltag schmecken….“


„Na ja, schmecken, ich weiß nicht … bei uns oben gibt es auch seit Wochen den gleichen Essensplan in der Kantine. Ich gebe allerdings gerne zu, dass Servatius es versteht, die Rezepte immer einen Hauch abzuwandeln.“ GOTT rutschte unbehaglich in dem zerschlissenen Besuchersessel von Luzifer herum und versuchte, die Sprungfeder, welche durch die abgewetzte Bespannung stach, zu ignorieren.

 
„Du willst mir doch nicht weismachen, dass bei euch oben auch die ganze Zeit Geflügel auf dem Speisezettel steht."


„Doch! Seitdem diese Vogelgrippe unten auf der Erde…“


Luzifer baute sich mit noch grimmigerem Gesichtsausdruck als üblich vor IHM auf. „Warum hast Du denen da unten eigentlich diese ornithologische Influenza-Pest geschickt. Ich dachte, die Zeiten, in denen Du Sintfluten, Salzsäulenerstarrung und all diesen Kram zur Bekehrung eingesetzt hast, wären endgültig vorbei.“

„Betriebsunfall! Du kennst das doch: ich unterhalte mich mit Franzl über Vögel und ihre Erkrankungen, vorwitzige Putten oder ICHweißnochwer hört Bruchstücke, und schon macht die Nachricht die Runde.“


„Welche Nachricht?“ fragte der Herr der Hölle mit spöttischem Lächeln. „Scheint eher eine Hiobsbotschaft gewesen zu sein.“

„Dass unser Labor eine Grippe-Epidemie für Vögel entwickelt!“


„Das heißt doch noch lange nicht, dass auf der Erde die Enten reihenweise umfallen müssen. Du musst doch wohl erst die Freigabe anordnen, oder?“


ER nickte langsam mit schmerzverzerrtem Gesicht. Die Sprungfeder stach inzwischen in direktem Winkel in sein Hinterteil. „Mann, Luzi! Ist bei Dir doch auch nicht anders: Unmengen an Papierkram. Da verliert man schon mal leicht den Überblick!“


Der Teufel starrte IHN an. „Du unterschreibst einfach blind? Und deshalb müssen Himmel und Hölle den gesamten Vernichtungsbestand an Geflügel von der Erde verputzen? Oh, Mann, du tickst doch nicht richtig."


„Bitte keine Majestätsbeleidigung! Geschehen ist geschehen. Wir müssen nur zusehen, dass meine Menschen nicht infiziert werden.“
„Hast Du dich eigentlich in den letzten Tagen und Wochen mal in die irdischen Nachrichten eingelogt? Ich habe schon etliche neue Gäste begrüßen dürfen, die ich erst einmal in Quarantäne schicken musste. Du solltest mal mit Petrus an deiner Himmelspforte sprechen. Der klagt auch über einen enormen Anstieg der Asylsuchenden. Wenn das so weitergeht, ist bei mir und bei Dir bald anstatt Einzelzimmer Fünfbett-Zimmerbelegung angesagt. Ich sag’ Dir noch etwas: Rebellion, Aufstand, Hungerstreiks …. das erwartet uns beide.“

 

„Servatius hat da klasse Rezepte für Döner, Pate-Spiesschen…“


„Seit Wochen schon drehen meine Unterteufel ihre Spieße und Dreizacke auf türkische Art. Wir haben sogar einige Kunden aus dem tiefsten Afrika um Rezepte für Geflügelfleisch angebettelt. Anfangs fühlten sich meine Gäste ja wie im Schlaraffenland, wegen der gebratenen Tauben und so, aber mittlerweile müssen wir schon die Hühnerbrüste in Steakform schneiden und das Fleisch einfärben, um den Anschein von Rindfleisch zu erwecken. Immer nur Barberie-Entenbrust und gefüllte Wachteln sind langweilig.“

„Immerhin habt ihr hier unten jetzt genügend Daunenbetten…“ wagte ER einzuwerfen.

„Quatsch! Und noch mal Quatsch! Ich hab’ immer gut geheizt bei mir. Also, was gedenkst Du zu tun?“


ER hatte sich inzwischen aus dem Sessel erhoben und betastete vorsichtig sein Hinterteil. „Abwarten. Ich habe vor, meinen Menschen eine göttliche Inspiration zu schicken, damit sie einen Impfstoff entwickeln, der nicht nur die Symptome überdeckt. Bis dahin …“


„Wie ich Dein Labor und deine Menschen kenne, dauert das noch einige Jahrhunderte. Denk’ nur an Aids, oder Lepra … oder Tuberkulose!"

„Sei nicht immer so pessimistisch und red’ nicht immer alles kaputt, Luzifer! Ich muss jetzt gehen. Servatius hat mir versprochen, heute thailändische Geflügel-Spießchen mit scharfer Sauce zu kochen. Also, halt dich senkrecht…“

„Na dann, guten Appetit!“ Luzifer schaute resigniert dem sich entmaterialisierenden Herrscher des Himmels hinterher und seufzte. Da würden ja noch einige Monate geflügelhaltiger Kost auf ihn zukommen …
 


Er war stinksauer. Auf sich selbst. So wütend wie … wie … egal, ihm fiel vor lauter Ärger nichts Passendes ein. Warum hatte er nur diesen Blödsinn angefangen? Eigentlich konnte das Projekt doch nur schief laufen. Die Geschichte war von Beginn an eine Schnapsidee gewesen! Dabei wollte er doch nur, dass alles perfekt lief. Hatte sich fast selbst zermürbt während der Planung. Anstatt sich nach dem Anlaufen der Firma wie vorgesehen zurück zu ziehen, hing er immer noch mitten drin. Er fluchte leise, während er sich einen doppelten Kognak einschenkte.

 

Es gab nur Chaos. Am Anfang ging es ja noch. Da war alles überschaubar gewesen. Doch plötzlich, mit der so nicht vorgesehenen Expansion des Unternehmens, war etwas aus dem Ruder gelaufen. Seine große Idee war nicht durchführbar, zumindest nicht von ihm.

 

Nichts funktionierte, so sehr er sich auch bemühte, Ordnung zu schaffen. Die von ihm zu Beginn eingesetzten Abteilungsleiter waren zum größten Teil entweder unfähig oder überfordert, den Anforderungen gerecht zu werden. Nach und nach, je größer die Sichtbarkeit ihrer Unfähigkeit wurde, versanken sie in hektisches Anordnungsfieber, andere resignierten. Ließen die Schreibtische überborden mit unerledigten Aufträgen. Einige begannen ihren Frust mit Hochprozentigem zu ertränken, was das Durcheinander nur noch verschlimmerte. Sicher, er hätte alle an die Luft setzen, den Laden dicht machen und Insolvenz anmelden können. Doch das war nicht sein Stil. Was wurde dann aus all seinen Angestellten? Niemand sah einen Weg, ja selbst das Ziel war mittlerweile nicht mehr erkennbar. Er hatte versagt.

 

Immerhin hatte ihm das Projekt eine kurze Auszeit aus der Einsamkeit gegönnt. Er lernte die „normale“ Welt kennen und eine Frau, die ihn einfach kopflos werden ließ. Die Liaison mit der Mutter seines Sohnes hatte nicht lange gedauert. Das übliche Spiel. Sie hatten sich schnell getrennt, erst Jahre später erzählte sie ihm von seinem Kind. Da hatte er erst einmal was wieder gut zu machen. Er schickte ihm ab und an Kleinigkeiten, die seine Phantasie anregen sollten. Anonym, versteht sich. Weder seine Ex- Geliebte noch er konnten es sich leisten, dass die Affäre ruchbar wurde. Doch irgendwann war der Mann, der seinen Sohn als sein eigen Fleisch und Blut aufgezogen hatte, tot und auch die Kindsmutter hatte das Zeitliche gesegnet. Blieb nur er um sich um den noch Minderjährigen zu kümmern. Was er auch tat: diskret, aber zielführend. Als der Sohn endlich volljährig wurde, lüftete er sein Geheimnis der Vaterschaft. Zuerst war sein Sohn überhaupt nicht erbaut gewesen …. Doch mittlerweile hatte er den jungen Mann in die Firma geholt und ihn als Juniorchef etabliert. In der Hoffnung, nicht alles alleine organisieren zu müssen. Und doch - selbst zu zweit herrschte das Chaos in der Firma.

 

Bis eines Abends sein Sohn im Büro auftauchte. In der linken Hand einen Stapel Papiere, in der Rechten eine Flasche Wein.

„Daddy, ich hatte da ein Mind storming … wir sollten am besten as soon as possible einen exchange of opinions anberaumen!“ begann er.

Der Filius war trotz seines hippimäßigen Aussehens einer der wenigen in der Firma, die sich bemühten, den „Laden“ wieder in geordnete Fahrwasser zu lenken. Das Zeug dazu hatte er zweifellos: er war willensstark, durchsetzungsfähig, einfallsreich. Zudem umgab ihn etwas wie eine Aura, die anzog. Wenn er seine Stimme erhob, lauschten alle. Diese Marotte, dass man ihn „Dschjai“ nennen sollte und alles und nichts mit Anglizismen bezeichnet wurde, war zu verschmerzen. Er tat, was ein Sohn konnte. Doch Wunder waren selbst in dieser Firma selten.

„Es kann und darf so nicht weitergehen. Aber das weißt Du selbst ja am besten. Es schadet dem Corporate Image, wenn die Company nicht läuft. Ich habe die benchmarks mal gescheckt, einen Masterplan produced …“

 

Erst ungläubig hatte er den Sohn angesehen. Das laute Lachen, was folgte, war ein Lachen der Verzweiflung. So weit war es also schon gekommen, mit ihm und der Firma … Doch mit jedem Glas blutroten Weins sickerte die Erkenntnis immer tiefer in seine Hirnwindungen, dass der Plan seines Sprösslings auch nicht schlechter sein konnte, als das, was bisher ablief. Was hatte er zu verlieren? Noch schlimmer konnte es ja wohl nicht werden!

 

Heute wusste er, dass er sich wieder einmal geirrt hatte.

 

„Daddy, ich sage nur: the best of all of the Best of all! Wir müssen on the top die Stellen anders besetzen. Nur die Fähigsten für das Finance Department, die Logistic, die Publicity und so fort. Wenn das geschehen ist, werden wir uns um die younger generation kümmern. Für dich mit deinen connections dürfte es ja wohl kein Problem sein, das zu arrangieren!“

„Und was mache ich mit den Leuten, die ersetzt werden? Ich kann die doch nicht einfach auf die Straße …“

„Die kommen in rescue companies. Einige haben ja schon mehr Jahre auf dem Buckel, als man ihnen zumuten sollte. Ein paar in den premature Ruhestand, ein paar als Sonderbeauftragte oder consultants in the field service. Dann läuft der Laden wieder, Daddy!“

„Naja, wenn du meinst…“

 

Nun saß er hier, in einem völlig überfüllten Großraumbüro der Finanzabteilung. Hörte die hektischen Stimmen von Managern und Bankern, die versuchten sich gegenseitig auszubooten. Geldgeile Schwadroneure dealten mit Anlagemöglichkeiten als seien es Drogen. Aber es waren die besten, die zu haben waren. Jung, dynamisch. Voller Ideen. Erfolgreich. Aber allesamt ein bisschen zu sehr auf den eigenen Vorteil bedacht. Das Gefühl für andere gab es in ihren Herzen und in ihrem Denken kaum oder gar nicht.

In der Logistik-Abteilung kab(b)elten sich Computer-Genies durch die Räume. Auch sie waren sonderbar. Introvertierte Kopfmenschen, die kaum zu Teamarbeit fähig waren. Bei einigen hatte er bemerkt, dass sie mit einer der verschiedenen Steckeröffnungen an ihren Computern sprachen, als sei das ein Kind. Dauernd liefen sie mit Klemmbrettern herum, kritzelten unsinnig erscheinende Formeln selbst an die Wände. Einer streckte mit Vorliebe seine Zunge heraus. Widerlich!

 

Die Referenzen des Chefs der Einkaufsabteilung waren eigentlich hervorragend gewesen. Er machte einen sehr ruhigen, fast transzendental angehauchten Eindruck. Nur war es leider so gekommen, dass eben jener, mit einer runden Nickelbrille und Jesuslatschen versehene Mann, sich für die Idee der Humanitas interessierte. Daraus folgte ein ständig in der Luft liegender Haschgeruch, Dauerbeschallung mit leiser Musik von Zimbeln und Sitars sowie anstelle eines kräftigen Händedrucks zur Begrüßung das „Peace“-Zeichen. Ständig summte jemand: „Giff Piez ä schänz…“

 

Lager, Versand und Controlling unterstanden wenigstens einem wahren Könner! Mit unglaublicher Kraft und Schnelligkeit flog er regelrecht durch die Lagerhallen, überprüfte mit einem Blick Kisten voller Bestellungen oder überbrachte höchstpersönlich die Lieferungen an die Besteller. Soweit lief also alles reibungslos. Einzig sein eng anliegender Ganzkörperanzug sorgte bei den homophilen Belegschaftsmitgliedern für eine gewisse hormonelle Unruhe. Aber da war der Lagerchef nicht die einzige Ursache: auch der Pförtner wackelte laufend mit seinem Becken und trug aufregend glitzernde Paillettenanzüge. Wenn er sein „Pelvis“ vorschob beim Türöffnen, den Leuten tief in die Augen blickte und „Love me tender!“ hauchte, dann lief sogar den weiblichen Mitarbeiterinnen das Östrogen über. Da war ihm dieser blauäugige Kerl in der Telefonzentrale erheblich lieber. Manche sagten ihm zwar Kontakte zur Unterwelt nach, aber mit seinen Kumpels kam er so hervorragend aus, dass sie eine kleine Betriebssportgruppe gegründet hatten. Das „Rat Pack“ trainierte regelmäßig seine Muskulatur, indem sie volle Whisky-Flaschen stemmten, stundenlang die Vergnügungseinrichtungen besuchten und so fort. Außerdem war die Stimme dieses Mannes ideal. „Night and Day, you are the one …“ in den Hörer gesungen gab den Kunden einfach das Gefühl, in dieser Firma richtig zu sein. Da nahm er es in Kauf, dass häufig die interne Sicherheitsabteilung unter der Leitung eines grimmig aussehenden, im Rap-Schritt herumlaufenden Farbigen das randalierende Rat Pack bändigen musste.

 

Das eiserne Gesetz des Stärksten herrschte hingegen im Personalbüro. Gnadenlos lieferten sich die „Head-Hunter“ interne Abwerbeschlachten, entwickelten immer ausgefeimtere Einstellungs-Test-Bögen für die „human ressources“. Ihn widerte der abfällige Beiton an, mit dem das Wort ausgespien wurde. „All the best of all the Best“, das heiß nichts andres als dass auf Teufel komm raus wurde ausgesiebt. Funktionierte jemand nicht wie es sich die Personalabteilung vorgestellt hatte, wurde der Betreffende nach einem ausgiebigen, oft peinlichen „Supervising“ in die unteren oder gar untersten Firmenbereiche verbannt. Immerhin unterzogen sie sich gegenseitig alle zwei Wochen den eigenen Tests, was nicht dem Wunsch nach Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit zu verdanken war, sondern eher der Gier nach der Stelle des Anderen.

Am Schlimmsten empfand er jedoch die Werbeabteilung. Alles war vertreten, von Schauspiel über Malerei bis hin zur Literatur und Musikbranche versammelte sich hier die Elite, die Creme de la Creme. Gut, gegen die wunderschönen Frauen hatte er im Prinzip ja nichts. Daran konnte er sich nicht satt sehen. Aber gleichzeitig fürchtete er den Moment, in dem diese erlesenen Geschöpfe den Mund aufmachten. Dann spien sie Gift und Galle, nervten mit dümmlichen Drei-Wort-Sätzen oder quälten seine Hörzellen mit Hilfe unerträglich piepsiger Stimmen. Die Regisseure in den firmeneigenen Studios setzten sie wohlweislich nur für Stummfilmsequenzen ein. Sie posierten immer und überall, stolzierten halbnackt auf Stöckelschuhen durch die Gegend. Nur ganz wenige von ihnen verloren den Bodenkontakt nicht. Diese saßen meist tief deprimiert in den Kantinen herum, lasen kopfschüttelnd die Skripts für die Werbeclips und versuchten, mit den Abteilungsleitern um den „künstlerischen Gehalt“ zu streiten. Wenn sie in diesem Belang nicht weiter kamen, rannten sie als tragische Lady Macbeth oder Königin Elizabeth durch die Gänge. Oder zogen sich in selbstgewählte Schneckenhäuser zurück. Besonders eine, mit seltsam hervorquellenden Augen, war hervorragend als Jezebel. Nicht direkt schön, aber diese Frau hatte etwas … sie hatte Stil. Die Blondine mit den traurigen Augen und den wehenden Röcken war ebenfalls eine der Ausnahmen. Nur dass sie ständig unpünktlich war und sich mehr von Medikamenten und Alkohol zu ernähren schien als gut war.

Die Männer liefen auch außerhalb ihrer Dienstzeiten in den Masken und Kostümen herum, sie benahmen sich wie ihre Rollen es verlangten. Da gab es jugendliche Rebellen, wild-verwegene Westernhelden oder grüblerische Intellektuelle, die an nichts etwas Positives fanden außer an ihrer eigenen Arbeit. Wiederum andere hatten genügend Grips, um die Diskrepanzen zwischen Sein und Schein ihrer Persönlichkeiten zu erkennen – und zerbrachen daran. Sie hockten nach dem Erledigen ihrer Aufträge in ihren Privaträumen herum, tranken, betäubten sich mit Psychopharmaka oder pflegten einen exzessiven Lebensstil mit Partys, Orgien und Ausschweifungen aller Art. Etliche aus der Belegschaft der Werbeabteilung (egal ob weiblich oder männlich) entwickelten seltsame Vorlieben. Einer der Musiker lebte mit einem Affen zusammen und lief als Peter Pan im Großformat durch die Betriebsgänge, ein anderer akzeptierte keine lederbezogenen Gegenstände in seiner Nähe. Doch im Großen und Ganzen funktionierte dieser Bereich noch am besten.

Schwieriger war es gewesen, einige politisch ambitionierte Führungskräfte unter Kontrolle zu halten. Sie strebten in die obersten Führungsetagen. Nur mit Glück hatte er sich einiger Attacken erwehren können, sonst hätte womöglich dieser penetrant übertrieben auftretende Kerl mit dem kleinen Schnauzbärtchen und der abgehackten Sprechweise seinen Posten übernommen. Dieser Kerl hatte eigentlich nichts auf der Pfanne, seine Ideen waren monströs und abartig … aber er begeisterte die Massen. Sie folgten ihm, wenn nötig, bis ins Verderben.

 

Sein Sohn hatte einen „Hol-und-Bringe-Dienst“ etabliert, der im Laufe der Zeit zu einer einzigen Katastrophe mutiert war. Sicher, die Leute dort waren schnell, superschnell. Besonders die Fahrradstaffel. Doch immer häufiger kam es zu auffälligen Blutbefunden. „Just in time“ reichte nicht, es musste „before time“ sein. Was das Schlimmste war: die Leute wollten selbst sich gegenüber meist nicht eingestehen, dass sie dopten!

Nicht anders sah es bei den „starken Kerlen und Weibern“ aus, die sich mit Boxen, Ringen, Gewichtheben und wer weiß was für Kraftsportarten fit hielten. Sie wurden bei den äußerst zahlreichen Umzügen im Personalbüro eingesetzt. Er hatte schon einige erlebt, die sich und ihre Umwelt davon zu überzeugen versuchten, dass sie einem Komplott zum Opfer fielen.

 

Mit dem Betriebsrat lief es so lala. Abgesehen von einigen salbadernden Möchtegernheilsbringern, die den Auftrag der Firma als ihr höchstpersönliches Monopol ansahen und eigentlich nicht völlig zurechnungsfähig waren. Meist reichte es, ihnen einen anderen Vertreter ihrer Gattung an den Schreibtisch gegenüber zu setzten. Beide erschöpften sich in der Regel darin, sich gegenseitig die Ohren voll zu predigen. Dann konnte er beruhigt seine Mitarbeiter nacheinander ins Büro bestellen und mit ihnen einzelne Vertragsänderungen aushandeln.

Er verstand all diese Leute einfach nicht, was brachte sie dazu, immer der Beste, der Stärkste, sein zu wollen?

 

Das Einzige, was ihm einigermaßen gefiel, war der Kindergarten. Dort wurde der Nachwuchs behütet und umsorgt. Aus den viel versprechenden Kleinlingen sollte einmal das beste Potenzial heranwachsen, was seiner Firma zur Verfügung stehen konnte. Doch auch hier teilte sich die Spreu vom Weizen in einer Art und Weise, die er nicht besonders befriedigend empfand. Die Rücksichtslosesten wurden gefördert, die Sanften schlüpften nur dann durch das Netz der firmeneigenen Auswahl, wenn er mit ein paar Tricks dafür sorgte. Natürlich durfte „Dschjai“, sein Sohn nichts davon erfahren. Er steckte sie in Waldorf-Kindergärten, wo sie mit Lehm etwas erschaffen konnten. Ab und an sorgte er zur Belohnung bei besonders gelungenen Werken für etwas Leben, indem er Pfefferminz-Bonbons für frischen Atemhauch an die Kleinen verteilte.

 

Nein, das alles war nicht Gottes Vorstellung von einer Welt-Firma gewesen! Und die Idee von Jesus, seinem Sohn, die Besten der Menschen früh zu sich zu holen, war einfach nur voll danebengegangen … 




„Chef, Cheeefff...“ Atemlos stürmte der heilige Bernhard in das Büro, riss den Kuttenständer neben der riesigen Eingangstüre um und torkelte dann zum Schreibtisch aus echtem „Wohagoni“, der edelsten Holzsorte im Himmel.


„Bernhard, wie oft soll ich Dir eigentlich noch sagen, dass Du der Schutzheilige der Barkeeper bist und nicht deren bester Kunde! Du hast Dir schon wieder einmal mindestens einen "Holy Flusher" zu viel genehmigt. Und mach' die Türe zu, es zieht!" Gott musterte unwillig den recht aufgelöst erscheinenden Heiligen.


Mit glasigen Augen stand dieser vis a vis mit seinem Vorgesetzten und schwankte bedrohlich. „Aber... ich musch dosch..."


„Du setzt dich erst mal hin, mein Lieber. Wenn Du mir jetzt weismachen willst, dass Du es als deine geheiligte Pflicht ansiehst, eine Qualitätskontrolle der Mixgetränke durchzuführen - das spar' dir lieber! Wenn du so weiter machst, lasse ich dich bei Pankratius einliefern. Der macht 1a Entzugstherapien. Der hat es sogar geschafft, deinen Kollegen vom Olymp, diesen versoffenen Dionysus, trocken zu legen. So, und jetzt gib' mir einen wirklich guten Grund für dein Hereinstürmen!"


Bernhard von Clairvaux ließ sich in den Wolken-Besuchersessel plumpsen, rülpste verstohlen und lallte: „In der Oschterabteilung... da wo die Oschterhaschen... isch mein', da ischt..."

 

„Komm in medias res!" GOTTES Stimme klang sehr gereizt.


„Mediasch resch... neuer Longdrink...?"


„Bernhard! Du sollst zum Kern der Sache vorstoßen."


„Anschtoschen ischt immer..."


Der himmlische Lenker aller Geschicke beugte sich drohend über den Schreibtisch. „WAS... IST... LOS?"


„Die Oschterabteilung schtreikt. Dasch ischt losch!" Bernie fuchtelte wild mit seinen Händen in der Luft herum. Irgendwie schien sein Sitzmöbel nicht ganz standfest.

Gott ließ sich entgeistert in seinen Leder-Chefsessel fallen. „Du hast Dir wirklich einen zu viel hinter das Rüschenhemd gekippt. Die Osterabteilung hat noch nie gestreikt. Und sie wird auch nie streiken. Immerhin haben die mich letztes Jahr bei den Tarifverhandlungen so über den Tisch gezogen, dass ich selbst Antonius mit seinem Sozialarbeiter-Obdachlosen-Migranten-vernachlässigte Kinder-Arbeitslosen-Tick Leid getan habe. Die können gar nicht mehr fordern, weil sie schon alles kriegen."


„Isch aber scho... die fordern weischere Plaschtikkörbschen, sascht jedenfalsch Gabriel." Bernhard war nahe daran, einzunicken. Seine ohnehin schleppende Sprache wurde immer unverständlicher.

„Gabriel, Gabriel, Gabriel - der soll sich lieber um seinen eigenen Aufgabenbereich "Fernmeldewesen" kümmern. Nie kriege ich die Telefon-Verbindungen, die ich haben will! stattdessen lande ich im hintersten Himalaya oder irgendwo bei einer Hula-Braut in Hawaii, die mir Pornos andrehen will. Was Dich angeht: Du gehst jetzt lieber in dein Bett. Ich rufe dir den Hol- und Bringedienst."

ER drückte den Knopf für die Sprechanlage. „Katharina? Würdest Du bitte das Fingernagel-Lackieren einen Moment unterbrechen und stattdessen in deiner Eigenschaft als Telefonbeauftragte und Chef-Sekretärin meiner Heiligkeit den heiligen Leonhard anrufen? Ich habe Bernhard hier sitzen, Leo soll ihn aus meinem Büro ins Bett schaffen. Und dann rufst Du mir bitte den Wendelin her... er soll UMGEHEND hier erscheinen. Danke, Ende der Durchsage!"

Knappe 10 Minuten später lag Bernhard selig schnarchend in seinem Daunenbett. Der heilige Wendelin hatte es nicht so bequem, er stand mit hängenden Schultern vor dem Allmächtigen und musste sich eine rhetorisch eindrucksvolle Strafpredigt anhören.


„Das kann doch wohl nicht wahr sein!", tobte ER. „Wenn Deine Hasen so weitermachen, streiche ich Ostern vom Feiertagsplan. Dann können die mal schauen, wo sie Arbeit und Unterschlupf finden. Oder noch besser, ich besorg' mir von Johannes ein paar Aushilfen. Die Malerabteilung hat sowieso Auftragsflaute im Moment. Und Ostereier zu bemalen dürfte ja wohl nicht zu schwer sein."

„Aber die Auslieferung...", wagte Wendelin kleinlaut einzuwerfen.


„Die Auslieferung können auch das Christkind und Klausi übernehmen. Die kriegen halt Hasenkostüme angezogen und Rudi hat eh' einen Stummelschwanz. Die rote Nase von Rudi bemerkt eh’ keiner! Notfalls geht er als Albino-Hase im weißen Kostüm. Außerdem stimmt bei denen die Logistik, ganz im Gegensatz zu Deiner Abteilung. Jedes Jahr finden die Menschen vergammelte, faule Eier erst im Herbst wieder. Und warum? Weil Deine Leute die Eier einfach wahllos rumschmeißen. Oder so gut verstecken, dass kein Mensch sie jemals finden kann. Wenn ich jetzt noch einmal nachgebe, kommt als nächstes die "Hühnergewerkschaft" und verlangt womöglich Hebammen-Beistand beim Eierlegen. Oder die Pfingstochsen wollen jeder eine eigene Kosmetikerin. Nenenee, mein Lieber... nicht mit mir. Sag Deinen Angestellten, dass Weichmacher in Plastik gefährlich ist für die Fortpflanzung. Das wird sie von ihren Forderungen runterholen, schließlich ist die Fabrikation von neuem Nachwuchs ja eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Ich kann natürlich auch die Immunität der gesamten Abteilung aufheben! Was das bedeutet, dürfte Dir klar sein: Freigabe zum Abschuss! Und jetzt Adieu, ich habe Wichtigeres zu tun."

Der heilige Wendelin schlich aus SEINEM Büro, um seiner Osterhasen-Belegschaft die Hiobsbotschaften zu bringen.

 

Gott hingegen ging zu dem riesigen Aktenschrank in einer Ecke seines Arbeitszimmers und öffnete die unterste Schublade. Dann setzte er sich mit einem 5-fachen Eierlikör „Eier-Trost" aus der Privat-Brennerei des heiligen Franz in seinen Sessel, legte die Beine auf den Tisch und trank. Den Likör hatte er sich jetzt verdient! Die Osterabteilung würde sich hüten, auf ihren Forderungen zu bestehen. Unten auf der Erde hatte die Hasen-Jagd-Saison gerade erst begonnen...



Gott hatte die Backen gestrichen voll. Sein Gesicht sah aus, als ob er zwei Tennisbälle auf einmal gehamstert hätte. Der Blick des Herrn war verschleiert von den unzähligen Schmerzpillen, welche er sich schon eingefahren hatte.


„Chef, Du musst zum KWK!“ Luzifer blickte mit sorgenvollem Ausdruck auf das Häufchen himmlischen Elends, das da in dem Chefsessel hockte. Gott bot ein Bild des Leidens. „Fast so gut wie Jesus damals…“ dachte Luzifer.


ER stöhnte. Das fürsorgliche Christkind hatte ihm zwei Eisbeutel aus der Antarktis besorgt und einen handgestrickten Wichtelschal zur Befestigung der Kühlungsvorrichtung sofort mitgebracht. Viel half aber das unterkühlte Erste-Hilfe-Set nicht. „KWK?“ nuschelte er.


„Kau-Werkzeug-Klempner! Ich kann ja mal bei Pankratius anrufen...!“


„Nee, nee… die Schmerschen sin’ nich’ so schlimm, fascht scho’ weg!“


Luzifer schaute seinen Vorgesetzten skeptisch an. „Du hast Angst, Chef! Dunocheinmal, bist Du ein Kleinkind oder Gott? Hast Du dir eigentlich mal überlegt, was Du für ein Vorbild abgibst? Kein Wunder, dass deine Menschen immer jünger sterben, weil sie nicht zum Arzt gehen. Von wegen, einen studierten Kurpfuscher kann man sich auf der Erde fast nicht mehr leisten – purer Schiss! So ein kranker Zahn streut doch seine Baktrien…“


„Bakterien..“ verbesserte ER .

 

„Gut, seine Bakterien im ganzen Körper herum. Haarausfall, Herzinfarkt, vielleicht auch Aids und Tuberkulose, Pest und Cholera kannste davon kriegen. Du musst zum Zahnarzt!“ Der Höllenfürst positionierte seinen schmuddeligen, feuerfesten Körper in eine bequemere Lage auf der Wolkencouch. GOTT führte ein bequemes Leben – die Couch zum Beispiel besaß keine kaputten Sprungfedern, die unangenehm die Hinterteile malträtierten. „Schon mitgekriegt, dass deine Menschen ihre neuen Beißerchen selbst bezahlen müssen? Willst Du nicht mal daran was ändern? Sonst kaut bald die halbe Welt auf den Felgen.“


„Schpäter, schpäter!“


Luzifer hatte endlich die ideale Sitzposition gefunden, jetzt konnte er in aller Ruhe den Leidenden betrachten.

„Später! Du hast schon viel zu lange gewartet. nicht nur mit den Menschen, vor allem mit deinen Zähnen. Vielleicht hilft Dir ja einer dieser Angsttherapeuten aus der Abteilung von Franz.“


„Isch hab’ kein’ Angscht!“


„Wer’s glaubt, wird selig.“ Luzifer stand auf, schritt im John-Wayne-Gang zum Schreibtisch und wählte am Telefon die Nummer112. „Hi, Panky… könntest Du mal auf einen Sprung in das Büro vom Chef kommen? Der hat dicke Backen und Angst in der Buxe, dass es zum IHMerbarmen ist! Okay, bis gleich!“

GOTT stöhnte erneut auf. Diese verdammten Zahnschmerzen hatte er schon seit Jahren immer mal wieder ertragen. Aber so weh wie heute hatte es noch nie getan. Katharina, seiner Vorzimmer-Heiligen, hatte er Schmerztabletten aus der Flügeltasche geleiert, unter dem Vorwand stressbedingter Kopfschmerzen. Nur halfen die Pillen nicht mehr! Sogar der Achtzigprozentige Branntwein von Franz war keine Lösung gewesen. Zu der Zahnmalässe war noch ein Kater hinzugekommen. „Isch will kei’ Pankraschius. An mein’ Schäne komm’ mir keine’ ran!“

Die riesige Himmelsbürotür öffnete sich und Pankratius, Schutzheiliger aller Gallen- und Leberkranken, Vorsitzender des Himmlischen Gesundheitsministeriums und Leiter des Spitals „Zum himmlischen Frieden“ stürzte herein. „Was ist denn mit DIR los, Chef? Oh, oh … das sieht aber gar nicht gut aus!“


„Sag ich doch die ganze Zeit!“ mischte sich Luzifer ein. „Der Herr hier glaubt doch tatsächlich…“


„Halt die Klappe, Luzi.“ fuhr Pankratius dazwischen. Er betastete mittlerweile vorsichtig das geschwollene Antlitz des Herrschers über Himmel, Erde und Unterwelt. „Du musst sofort zum Zahnarzt. Generalsanierung. Ich kann dich inkognito ins Spital einschleusen, mit hermetisch abgeriegeltem Einzelzimmer. Kein Mensch erfährt was von …“


„Isch will nich’ Isch bal’ wiede’ gut!“


„Papperlapapp … oder sollte Luzifer tatsächlich Recht haben und du hast einfach eine Heidenangst vor Zahnärzten?“


„Nein!“ Verzweifelt bäumte ER sich in seinem Sessel auf.


Luzifer rollte nur vielsagend mit den Augen und blinzelte dann Pankratius zu. „Ich glaube, da gibt es nur noch eine Möglichkeit, Pankratius!“


Pankratius nickte nur…

In der größten Suite des Spitals „Zum himmlischen Frieden“ erwachte ER. Das Krankenzimmer war vollgestellt mit Blumen, Genesungskarten und Schachteln voller klebriger, zuckersüßer Sahnebonbons. Benommen tastete er sein Gesicht ab. Die Schwellungen schienen nicht mehr so groß zu sein. Aber das Wichtigste war – er hatte keine Schmerzen mehr!


Chrissie rauschte herein, eine Schnabel-Tasse wässrigen Haferschleims in den Händen. „Na, wieder unter den Lebenden, Chef?“


ER nickte. Wie war er hier her gekommen? In seinem göttlichen Gedächtnis war eine Lücke zwischen dem Auftauchen von Pankratius in seinem Büro und dem Erwachen in diesem Bett. „Was ist …?“


Chrissi hielt ihm die Tasse hin. „Na, Panky und Luzifer haben dich gebracht. Du bist wohl vor Schmerzen ohnmächtig geworden. Und weil du schon mal gerade K.O warst, haben sie dich sofort in den Operationssaal der Zahnmedizinischen Abteilung geschoben und Dich O.K. gemacht. Mann, deine Beißerchen hatten es aber dringend nötig. In zwei bis drei Tagen kannst du wieder alles futtern und hast ein Gebiss wie Clooney…“


„Wie wer?“


„Unwichtig!“ Chrissie rauschte wieder aus dem Krankenzimmer. „Schlaf ein wenig!“

In dem verwahrlosten Büro von Luzifer in der Inferno-Allee stießen Pankratius und der Unterweltherrscher mit einem Glas „Sanitäter- Aquavit“ an.
„Ohne dein tatkräftiges Zuhauen hätten wir SEINE Zähne nie rausgekriegt, Luzi! War echt spitze und genial platziert, Dein Rundumschlag. Schade nur, dass der Aktenordner auseinander gegangen ist, als Du unseren Chef damit ins Reich der Träume geschickt hast. Kathi hat getobt, weil sie die ganzen Papiere neu sortieren musste.“

 

„Keine Ursache, hab’ ich doch gern getan!“ grinste der Teufel und goss die Gläser aufs Neue randvoll…





„Hi! Hast Du jetzt Adidas als Sponsor gewonnen?“ Der Satan musterte den Allmächtigen belustigt.


GOTT war mit strahlendweißem Trainingsanzug und golden blitzenden Laufschuhen bekleidet. Ein himmelsblaues Stirnband zierte die Stirn. Hinter ihm kamen einige schnaufende und sehr erschöpft aussehende Ausbildungsengel angekeucht. Aus den kleinen Rucksäcken zwischen den Flügeln lugten Flaschen, Energie-Riegel und Handtuchzipfel hervor.
„Hallo, Luzifer!“ entgegnete der Herrscher über Himmel und Hölle, während er auf der Stelle trabte. „Ich habe Dich vorhin vermisst, mein Guter! Hatten wir nicht ausgemacht, dass Du dich um 6.00 Uhr bei Petrus an der Pforte einfinden solltest?“


„Oooch, weißt Du … das muss ich völlig verschwitzt haben. Bei mir unten sind aber heute auch wieder Temperaturen!!! Meine Gäste sind wirklich erste Sahne, die heizen, was das Fegefeuer-Lager hergibt.“ Luzifer war sich nicht sicher, ob sein Chef ihm die Ausrede abnahm. Gestern Abend war das himmlische Fax bei ihm eingetroffen, in welchem GOTT sämtliche Angestellten, Heiligen, Putten und natürlich auch die Belegschaft der Hölle zum Betriebssport abkommandierte. Der Höllenfürst hatte die Nachricht zusammengeknüllt und mit Schwung neben den Papierkorb in seinem Büro gepfeffert. Teufel und Sport – so weit würde es nie kommen! Er kratzte sich hinter den Ohren: „Ich würde aber gerne wissen, wer Dir den Floh mit dieser ungesunden Sportbegeisterung ins Oberstübchen gesetzt hat!“

Der Schöpfer winkte einem der Jungengel. „Elektrolyt-Nektar, bitte!“ Dann wandte er sich wieder dem Teufel zu. „Ins Ohr gesetzt hat? Das hört sich an, an wärest Du der Meinung, ich würde mir von anderen etwas vorschreiben lassen. Du vergisst wohl, dass ich hier das Sagen habe. Aber um Deine Frage zu beantworten: mir sind da sehr interessante Dinge zu Ohren gekommen.“

 

„Allmächtiger, ich vergaß, dass Du überall Spione hast!“


„Keinen Sarkasmus, Luzifer! Also, Eva macht regelmäßig Sport. Sie joggt durch den Garten Eden, macht mit bei einigen Marathonrennen auf der Erde. Natürlich inkognito und mit mehr als nur einem Feigenblatt bekleidet. Sie hat mir empfohlen, besonderes Augenmerk auf meine sportliche weibliche Schöpfung zu legen. Ich muss sagen, sie hatte Recht! Ihre Figur ist einfach spitzenmäßig.“


„Oh, oh, deshalb ist Adam so häufig bei mir unten und hält meinen Koch von der Arbeit ab. Wir haben alle gedacht, er würde die Rezepte für „Höllengulasch“ und „Teufelsspieschen“ für Eva organisieren wollen … Aber wenn seine Frau durch die Weltgeschichte rennt, muss er ja den Haushalt schmeißen!“ Luzifer ließ sich ebenfalls eine Flasche reichen und hockte sich auf einen kleinen Wolkenhügel neben der Milchstraße.

 

„Da unten gibt es einige Menschen, die mir sehr imponiert haben. Und mir die Inspiration verschafften, den Himmel mal gründlich fit zu machen. Die tun alles Mögliche für ihren Körper – Gewichtheben, Stretching, Fußball, Eishockey. Stell Dir mal vor, einige Menschen laufen und laufen … wollen mit 70 Jahren sogar in New York mitmachen beim Marathon. Die haben kein Gramm Fett zu viel, pure Muskelpakete und voll einsatzfähig. Von meiner Schöpfung könnt ihr Schlappschwänze hier Euch ruhig mal eine große Scheibe abschneiden. Mens sana in corporae sana … und so weiter und so fort. Außerdem muss ich schließlich mit gutem Beispiel vorangehen!“ redete Gott unbeirrt weiter.


Satan machte große Augen. „70 ist doch kein Alter!“


„Für uns nicht, wir sind schließlich alterslos!“ beharrte ER.


„Voll einsatzfähig bin ich auch! Außerdem … hat unser großer Jogger noch nicht gemerkt, dass die Leute unten auf der Erde schon jetzt viel zu gut erhalten sind, häh? Nee, natürlich ist das Deiner göttlichen Aufmerksamkeit entgangen. Mensch, GOTT, die haben echte Schwierigkeiten, den hüpfenden und rennenden Alten den Lebensunterhalt zu sichern! Vor lauter Muckibudenbesuchen sind die nämlich nicht mehr dazu gekommen, für genügend Nachwuchs zu sorgen. Glücksgefühle haben die sich woanders gesucht. Aber Du singst hier das hohe Lied der Fitness…!“


„Papperlapapp, ich habe alles eingerechnet. Das mit dem Nachwuchs gilt nur für die Erste-Welt-Staaten – ich hatte es mir ja so gedacht, dass die sich aus den Entwicklungsländern die Kinder holen! Damit wäre dort keine Überbevölkerung mehr. Außerdem ist Sport gesund, aber auch ein klitzekleines bisschen gefährlich. Das gleicht alles wieder aus. Besonders, wenn sie joggen und schlafwandeln.“ Der HERR kreiste einigermaßen unelegant mit den Hüften.

Luzifer verschluckte sich fast an seinem Getränk. „Tja, Chef, das war ja wohl ein Schuss in den Ofen! Überhaupt - was hat Jogging und Schlafwandeln mit gefährlich oder so zu tun. Dein heiliger Korbinian schlafwandelt auch, und unser geschätzter Weihnachtsmann Klausi steht auch im Ruf…“


„Korbinian hat einfach nur eine schwache Blase. Klausi pennt sogar, wenn er Heiligabend seine Runde auf dem Schlitten dreht, bei dem sind das nur Gerüchte und üble Nachrede. Nee, meine Menschen müssen viel gefährlichere Dinge überleben. Besonders, wenn sie Sport treiben und gleichzeitig schlafwandeln.“


„Erzähl doch mal…!“ forderte der Teufel. Die Sache fing an, ihn zu interessieren.

 
„Stell Dir einfach nur mal vor, Du wärst ein eingefleischter Läufer. Du brauchst den Endorphin-Schub, um einigermaßen glücklich durch Dein Leben zu rennen. Und irgendwann, schwups, fängt Dein Gehirn an, Dich auch nachts im Schlaf auf die Piste zu schicken.“

„Du meinst, Frauen aufreißen und so …?“

„Schon gut, ich sehe, Du hast mich nicht verstanden. Denke bitte an die Jung-Engel! Was glaubst Du, wie gefährlich es ist, bei dem irdischen Verkehr mit geschlossenen Augen Kreuzungen zu überqueren oder so. Das geht da unten ja schon mit offenen Gucklöchern häufig schief.“ GOTT machte mittlerweile kleine Gymnastikübungen mit seinen Armen und trabte immer schneller auf der Stelle. „Ich sage Dir, Luzifer, dagegen ist die Besteigung des Matterhorns ein Klacks!“

„Kannste nicht einfach diese Wandelei … wegexorzieren?“

„Ist nicht drin. Nee, die Inquisitionsabteilung besteht noch immer darauf, Unmengen an Anträgen und Papieren ausfüllen zu lassen. Da hab ich wirklich keinen Bock drauf.“ ER kramte in der Seitentasche seines Jogginganzuges herum. „Hier, so sehen meine Menschen beim Joggen aus!“

Dem Höllenfürst verschlug es den Atem. Dieses Gerät war wirklich eine Wucht! Wunderschöne Kurven, mit neuesten modischen Accessoires ausgestattet, einfach … beeindruckend! „Boäh, so was hätt’ ich auch mal gerne! Alleine nur diese Bereifung! Für mich gäbe es die natürlich nur in feuerfester Sonderausgabe.“


„Feuerfeste Bereifung? Sag mal, Luzifer, bist Du noch ganz gescheit? Das sind die teuersten Laufschuhe, die Du auf der Erde kriegen kannst! Ich habe mir die gleichen bestellt.“ ER riss dem Teufel das Bild aus der Hand und starrte es an.

Unmengen Menschen, alle bekleidet mit Achsel-T-Shirt und kurzen Hosen liefen Ferse an Zeh einen steilen Hang hinauf.


„Aber dieses Frauenzimmer, das aussieht wie Rudi nach den anstrengenden Weihnachtstagen, das brauch’ ich nicht wirklich.!“ setzte Luzifer nach und zeigte mit einer seiner schmutzigen Krallen auf eine Frau, die sich, mit schmerzverzerrtem Gesicht und augenscheinlich völlig ausgepumpt, neben einem teuren Betreuungs – Auto einher schleppte. „Die Karre, die find’ ich echt schnuckelig. Aufgemotzt mit einer „Highway-to-hell“-Fanfare haste garantiert einen Mordschlag bei jungen Teufelinnen. Die sind erheblich knackiger als Dein laufendes Wunderweibchen. Ehrlich, wenn das dabei rauskommt, wenn man Sport macht … vielen Dank! Da hau’ ich mich lieber auf meine durchgelegene Couch und leg’ den Pferdefuß hoch.“

„Pah, Du bist einfach nur zu faul!“ Der Allmächtige machte einige Kniebeugen.


Luzifer lümmelte sich etwas tiefer in den Wolkenhügel. „Weißte was, Chef? Du machst dich jetzt wieder auf die Socken und ich rutsch’ mal runter auf die Erde und besorg’ mir die neuesten Kataloge. Du solltest auch mal überlegen, ob es hier oben nicht völlig reicht, wenn Du fit wie ein Turnschuh bist. Tschüß, und stolper’ mir nicht …“ Der Teufel löste sich mit jahrhundertlang geübter Eleganz in Luft auf und hinterließ nur eine kleine, nach Schwefel und „Inferno Nr. 1“- Rasierwasser stinkende Duftwolke.

Seufzend winkte GOTT seine Azubi-Engel herbei und trabte weiter auf der endlosen Milchstraße. An der nächsten Ecke würde auch er die Kurve kratzen und wieder nach Hause joggen. Hoffentlich hatte Luzifer nicht bemerkt, dass seine bislang gejoggten 500 Meter verteufelt anstrengend für ihn gewesen waren. Ihm taten jetzt schon sämtliche, bisher unbekannten, Muskeln weh und die besten Laufschuhe der Welt verursachten Blasen. Er verdammte Eva und ihre Idee. Sport war Mord, aber das würde er niemals öffentlich zugeben.
GOTT freute sich nur noch auf ein erfrischendes Nebeldampfbad und die Massagetechnischen Fähigkeiten von Katharina, seiner Vorzimmer-Heiligen …





Petrus hatte alle Hände und Flügel voll zu tun. Das, was momentan in der Empfangslobby abging, hatte er in all den Jahrhunderten Dienstzeit nicht erlebt. Bisher war er immer gut zu Recht gekommen mit dem Publikumsverkehr. Seine Cherubime von der „HimSec“ waren ein eingespieltes Team. Auch die neuen, grell farbigen Leitsysteme an den einzelnen Eincheck-Points funktionierten gut. Die Kunden nahmen sich eine bunte Chipkarte und steckten sie in die himmlischen Workstations – schwupps, schon waren sie registriert, katalogisiert und konnten sogar ihre jeweilig vorgesehenen Aufenthaltsdauern abrufen. Normalerweise gab es keine Probleme … normalerweise!

Alles hatte damit begonnen, dass bei Dienstbeginn um 5.00 Uhr HZM (HimmlischeZeitMessung) die Computer ein hämisches, nach Absturz klingendes, Geräusch von sich gegeben hatten und die Monitore schwarz wie Luzifers Privatbehausung wurden. Petrus hatte sofort IHM und dem zuständigen Technik-Heiligen Joseph über das weiße Telefon eine Nachricht geschickt. Eigentlich lief so was per E-Mail, aber da die PCs streikten, musste die heilige Klara (zuständig für Telegrafie) im Call-Center stöpseln. Jetzt standen Joseph, Petrus und der von „Jo“ mitgebrachte heilige Internet-Beauftragte Isidor vor den schwarzen Bildschirmen.


„Hmhmmmm….“ machte Joseph.


„Ganz genau!“ bestätigte Isidor.
„Was is’ denn nu?“ drängte der Himmelspförtner. „Macht voran, Jungs. Die neuen Gäste kommen gleich. Dann ist die Bude hier ruckzuck voll!“


„G’mach, mei’ Brüderle … a Ingenieur macht’s sich schwör! Und so a Kisten ans Laufen z’ krieger, is’ ned so einfach wie ihr Laie Euch des vorstelle tut!“


Isidor kicherte leise. „Vielleicht sollten wir den Tillo holen. Der ist für schwergehende Kinder zuständig. Kann doch sein, dass das hier auch hilft. Oder Cyriacus. Der vertreibt dann die bösen Geister aus dem System.“


„Von mir aus könnt ihr auch Clothilde rufen.“ meinte Petrus.


„Wieso denn das? Was soll denn Clothilde …?“


„Weil dieser ganze Sch… mit den Computern mir fürchterlich auf den Senkel geht und Clothi für die Toiletten zuständig ist. Einmal abspülen, den ganzen Kram, und fertig!“ Petrus wurde immer ungeduldiger. „Früher haben wir die Listen per Hand geführt. Da herrschte hier im Himmel wenigstens noch Vollbeschäftigung. Heutzutage lungern die meisten Putten nur in Luzifers Rotlichtviertel rum und beziehen Stütze von IHM.“


„Mei’ Brüderle, so a PC-Maschine, de’ is’ v’schachtelt wie a weitläufige Höhlen…“ Wieder kicherte Isidor unkontrolliert vor sich hin. „Na, dann schicken wir doch gleich mal nach Benedikt, unserem Grottenmolch- und Höhlenforscher-Patron. Wahrscheinlich zieht der dann einfach mal an Leine …“

Joseph schaute erst Isidor, dann Petrus an. „Sag’ emol, Petrus, hascht Du irgendwas an de Kabel rumfuhrwerke g’tan?“

Petrus rang mit den Händen. „Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich? Natürlich nicht! Hier, guck selber nach, alle Stecker sind in den Terminals drin!“


Hinter der großen Eingangstüre aus extrahartem Sicherheitseiskristall bemühten sich die Cherubime derweil verzweifelt, der immer größer werdenden Schar von Neuankömmlingen Herr zu werden. Da wurde gedrängelt und geschubst. Schließlich wollte jeder möglichst schnell ins jenseitige Paradies transferiert werden, - wenn er denn schon sterben musste. Petrus kniff die Augen zusammen. In dem Haufen von Einlassanwärtern entdeckte er seltsame Gestalten. Einen Wolf, ein offensichtlich stark angetrunkenes Girlie mit schwarzen Haaren und weißer Haut und einen seltsamem, mit Erdal-Schuhcreme im Gesicht geschminkten, König mit seinem Hofstaat. Einige des königlichen Personals schliefen im Stehen, andere trugen Gänse und Frösche mit sich herum.

 
Langsam dämmerte es Petrus: das waren mit Sicherheit die Asylanten aus dem Märchenland, welche sich in den Himmel flüchten wollten. ER hatte den Anträgen statt gegeben, nur zu gut hatte er nachempfinden können, wie es war, wenn sich skrupellose Enthüllungsjournalisten auf die allerprivatesten Ausrutscher von Königs und Co. stürzten, einfache Vergehen wie Vielweiberei und Trunksucht zu Skandalen hoch bauschten.

„Petrus!“ Josephs Stimme klang äußerst ungemütlich. „Komm’st schnell emol her?!“ Mit anklagendem Blick hielt der heilige Techniker einen Netzstecker in der Hand. „Hasch’ t ned g’sagt, du wärest ned an de Kabel g’wese? Irgendeiner häd hier des Steckerle us de Dosen g’zoge! Wars’t Du des?“

Petrus war einer Ohnmacht nahe. Nur allzu deutlich erinnerte er sich nun daran, dass die Heinzelmännchen und Putzwichtel in der vergangenen Nacht die alljährliche Grundreinigung begonnen hatten. Als er die PCs eingeschaltet hatte, waren diese gerade mit der äußerst gründlichen Reinigung die himmlischen Wandsteckdosen beschäftigt gewesen.

Und an die kam man nur heran, wenn alle Stecker herausgezogen waren...
 



„Duuu… Klausiiii….?“ Chrissie blickte unter ihrem Heiligenschein den Weihnachtsmann aus himmelblauen Augen an. „Sag mal, weißt Du, warum es keine Weihnachtskühe gibt? Selbst die Menschen sind noch nicht darauf gekommen, welche zu klonen!“


Der Weihnachtsmann zupfte etwas ratlos an dem weißen Pelzbesatz seiner feuerroten Ausgehuniform herum. Dann öffnete er den Mund – und schloss ihn genauso schnell wieder. „Mhmmm…!“ grummelte er.


Chrissie rutschte ungeduldig auf ihrem Schemel aus Kumulus-Wolken herum. Dass der Weihnachtsmann keine verwertbare Antwort gab, verdross sie sehr. Die Miene des Christkindes nahm einen derart frostigen Ausdruck an, dass selbst die abgehärtesten Eisbären das Weite gesucht hätten. „Jetzt sag’ doch schon. Warum nicht? Hat ER nie daran gedacht, oder wie oder was?“


„Keine Ahnung, frag ihn doch selbst!“


„ER hat jetzt bestimmt Zeit für mich, wo er doch mitten in den Tarifverhandlungen mit der Osterabteilung steht! Und die Wichtel haben auch schon Streiks für die nächste Adventszeit angekündigt! Im Übrigen solltest Du eine Antwort wissen, immerhin bist DU der Weihnachtsmann!“


„Aber ich hab’ die Welt doch nicht erschaffen, das war ER! Woher soll ich also wissen, warum GOTT nicht Weihnachtskühe bei der Genbank in Auftrag gegeben hat, he?“ Klausi kuschelte sich tiefer in den weichen Ohrensessel aus lauter kleinen Schäfchenwolken. Chrissie kam aber auch immer auf Ideen! Seine Vorbereitungen waren erledigt, alle Geschenke eingesackt und Rudis Nase eingenordet … bis Heiligabend würde er hier sitzen. Ausruhen, und träumen von der Zeit nach der Bescherung. Denn die härteste Arbeitszeit seines Jobs lag noch vor ihm: Weihnachtsgeschenkauslieferung! Zwar erst in ein paar Monaten, aber man konnte nie früh genug damit beginnen, Energie zu sammeln.

 

Er schreckte auf, als Chrissies Stimme nörgelnd direkt in sein rechtes Ohr drang.

„Du bist dumm!“ Chrissie stand neben dem Ohrensessel.


„Bin ich nicht!“

„Bist Du doch! Du weißt nicht, warum es keine Weihnachtskühe gibt!“


„HerrGottundsatannocheinmal, weil ER Pfingstochsen, Osterlämmer, Martinsgänse und Maikatzen erschaffen hat. Das reichte ihm. Und den Menschen.“


Das Christkind sah seinen Freund strafend an: „Du sollst nicht fluchen! Du weißt doch ganz genau, dass ER sich immer die Überwachungsvideos ansieht. Bei einem Verstoß wird er Dir was vom Gehalt abziehen!“


„Was für ein Gehalt? Ich hab’ eh’ nur Kost und Logis frei. Da wird er mich schon auf Diät setzen müssen, der hohe Herr.“

Chrissie baute sich nun vor Klausi auf und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. „Täte Dir vielleicht mal ganz gut. Trotzdem, ich finde, es fehlen einfach Weihnachtskühe!“

„Und wie, bitte schön, sollten die dann aussehen? Mit Lametta am Schwanz?“

„Zum Beispiel! Die Euter wären goldene Kugel, wie diese Dinger, welche die Menschen immer an ihre Tannen hängen. Und das Fell … das sieht dann aus wie wunderschönes Einpackpapier. Also, ich finde, blau-silbernes-Sternendesign würde doch klasse ausschauen!“


Der Weihnachtsmann starrte das Christkind sprachlos an. Ob der Heiligenschein nicht mehr ganz richtig saß? Oder hatte Chrissie, unbemerkt von ihm, zu tief in den Becher mit Honigwein geschaut? Gestern Abend war zwar spät geworden in der Schenke „Zum höllischen Tröpfchen“, aber Satan achtete sehr genau darauf, keinen Alkohol an Jugendliche unter 18 Jahren auszuschenken. Vielleicht hatte Chrissie einfach nur einen kleinen, geistigen Aussetzer – kein Wunder in der anstrengenden Adventzeit! Immer Friede, Glockengeläut und In-Familie-Machen konnte auf die Dauer sehr anstrengend sein! Er zuckte mit Schultern, brummte etwas Unverständliches, während er beschloss, Chrissie und ihre Frage einfach zu ignorieren.

Aber Chrissie ließ nicht locker: „Klausiiii ... weißt Du denn wenigstens, ob es Silvesterfrösche gibt?“


„SILVESTERFRÖSCHE?“

„Genau! Ich habe mir gedacht, die blasen doch immer ihre Backen auf und Quaken so fürchterlich laut...“


Der Weihnachtsmann stierte seine Freundin an, als seien bei der sämtliche neuronalen Leitungen durchgebrannt. „Was hat das Quaken und Backenaufblasen...?“


Chrissie löste sich vom Wolkenboden und flatterte einige Zentimeter über Klausi's Kopf hin und her. „Die wären doch hervorragend geeignet als, mhmm..., biologisches Feuerwerk für die Menschen. Warum sonst heißt das bei denen "Knallfrosch“? Und Bio ist doch "in", oder etwa nich`?“


Klausi beschloss, einfach einzunicken und Chrissies Exkursionen ins Tierreich zu verschlafen. Denn was das Christkind da gerade von sich gegeben hatte, das ging wirklich auf keine Kuhhaut mehr …!



In der Schenke „Zum diabolischen Tröpfchen“ im berüchtigten Rotlichtviertel des Infernos steppte der Elch. Im wahrsten Sinne des Wortes: die Rentiere der Weihnachtsabteilung feierten den Beginn der Vor-Vor-Adventszeit. Im Juni, ab Juli kam eh niemand mehr zu freien Tagen oder Festen. Dann lief die Produktion für Weihnachten an.

 

Winzige Wichtel wuselten durch die Beine der zahlreichen Gäste und schenkten aus Krügen, die fast so groß waren wie sie selbst, Honigwein nach. Halbnackte Putten debattierten eifrig miteinander die neueste Kleidungsverordnung von IHM, dabei nippten sie an heißem Punsch, der treffenderweise den Namen „Taifun“ trug. In einer Ecke der vollen Kneipe saß der heilige Christophorus mit einigen, zwielichtig aussehenden Kumpanen und knobelte, was das Zeug hielt. Dichte Rauchschwaden wabberten durch die Räumlichkeiten, ein Geruch nach Schwefel und angesengten Haaren lag in der Luft. All das schien aber der Stimmung keinen Abbruch zu tun.

Nur ER hockte mit trübsinniger Miene in einer anderen Ecke der Spelunke und genehmigte sich den mittlerweile dritten Honigwein des Abends. „Ob Chris weiß, mit wem er sich da einlässt?“ GOTT klopfte mit seinen Handknöcheln energisch auf die Tischplatte der „Stammtisch-Ecke“. Ein sanfter Schimmer von lodernden Kaminflammen spiegelte sich auf den Gläsern, ließ den Honigwein noch goldener aussehen.


Luzifer, aus dem Nichts materialisiert, schüttelte den Kopf: „Du kennst doch Christophorus! Der meint immer, ihm kann nix passieren. Deswegen gibt es unten auf der Erde ja auch so viele Unfälle! Die Menschen haben einfach eine falsche Vorstellung von Chris … der trampelt doch von einer Katastrophe in die nächste. War mir schon immer ein Rätsel, warum die ausgerechnet auf ihn als Schutzheiligen für Unglücke und Auffahrunfälle gekommen sind.“


„Musst Du eigentlich immer so unvermittelt auftauchen, Luzi? Du weißt, dass meine Nerven nicht die Besten sind." sagte ER mit leicht indigniertem Unterton in der Stimme, wobei er mit besorgter Miene zu dem zockenden Heiligen hinüber schaute. „Sollten wir Chris nicht warnen? Ich meine, diese Bodyguards von Dir sind bestimmt nicht zimperlich. Es säh’ doch wirklich nicht gut aus, wenn ausgerechnet Chris im Hospital landen würde.“ Missbilligend musterte ER den Satan. „Wie siehst Du eigentlich schon wieder aus?“


Die Gestalt vor ihm trug eine abgewetzte Lederkombi mit Totenkopf-Emblem auf dem Rücken. Dazu einige Piercings an den markantesten Stellen seines, von einem ungepflegten Haarschopf gekrönten, Kopfes. Überhaupt sah der neue Kneipen-Gast aus wie ein kurz vor der endgültigen Selbstzerstörung stehender Junkie. Und er roch auch so.
„Bist Du doch selber schuld, wenn du Chris den Posten als Unfallverhüter an den Hals hängst. Du hattest noch nie ein Händchen für Personalentscheidungen." Des Teufels Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Will’ste nich’ auch noch einen Honigwein? Alleintrinken macht mich immer so depressiv! Hast’e mal ne Kippe für mich?“

„Du solltest wirklich nicht so viel rauchen!“ ER hielt Luzifer eine feinziselierte Silber-Zigaretten-Box hin.

„Quatsch nich’, Alter! Immerhin bist Du doch derjenige, der dafür gesorgt hat, dass ich da unten den ganzen Teer und so einatmen darf. Von den Allergenen, die beim Federn anfallen, ganz zu schweigen. Kannst bloß froh sein, dass ich noch kein Asthma gekriegt habe.“


„HerrICHnoch eins! Das warst du schließlich selber schuld! Ich hatte gar keine andere Wahl damals.“

„Aha, so wie bei Adam und Eva etwa? Da hattest Du doch noch Alternativen, oder?“


ER schaute die abgerissene Figur mürrisch an. „Was sollte ich denn machen? Außerdem haben die Menschen seitdem selber für ihre Bestrafung gesorgt! Die Erde ist ein Jammertal, sage ich dir. Ich möchte da unten nicht sein. Dauernd Krieg irgendwo, Krankheiten, Hunger, Naturkatastrophen…“


„Klar doch, ist aber alles besser als die Hölle! Hier, guck’ mal, was mir letzte Tage passiert ist!“ Luzifer drehte sich um und präsentierte zwei kümmerliche Fragmente von Flügeln, von denen einer am Rand völlig verkohlt war. (Immerhin besaß er noch die Reste der Flügel, Relikte aus seiner Zeit als gefallener Engel. Die neueste Generation von Teufelsbrut besaß keinerlei derartige Gen-Überreste mehr. Die Evolution machte auch vor der Hölle nicht halt). „Du solltest der „Betriebssicherheit“ mal auf die Füße treten. Die Kessel sind alle überfällig, was die Inspektion angeht. Und ich krieg’ noch nicht mal mehr neue Thermoschutzanzüge für meine Angestellten!“
ER verdrehte die Augen. „Hast Du mal auf meinen Schreibtisch geguckt? Ich komme mit der Arbeit gar nicht nach!“

„Dann hol’ dir doch ein paar Assis. Also, wenn ich schon mal zu dir rauf komme, hab’ ich auf dem Weg genügend arbeitslose Putten gesehen. Und in der Osterabteilung schlafen alle in diesen grässlichen Körbchen mit Kunstgras.“


„Die verbringen dort ihren tarifmäßigen Urlaub, mein Lieber! Und vernünftige Assistenten zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Ich erinnere dich nur an das letzte Jahr Weihnachten. St. Martin hat einfach die falschen Stapel erwischt. Nicht die alten vom Vorvorjahr, sondern die neuen Bestellungen- und dann … er hat alle Briefe und Stoßgebete mit der Schere in zwei Hälften geschnitten. Er fand das Format handlicher für die Registratur. Es hat Wochen gedauert, bis wir die wieder richtig zusammengeklebt hatten.“


„Immerhin weißt du jetzt, dass Du keinen neuen Aktenvernichter kaufen musst, Du nimmst einfach Marty und …“


„Hahaha!“ Gottes Gesicht verzog sich säuerlich. „Wie klappt es eigentlich bei dir unten mit der Heiligen Luzia?“

 

 „Och, nettes Girl. Gibt sich viel Mühe als Aushilfe. Nur dieser schwedische Akzent… aber mit ihrem Lichterglanz ist sie als Heizer einsame Spitze!“ Luzifer trat die Zigarette auf dem Boden aus.

„Aber diesen Franz von Assisi, also den kann ich wirklich nicht gebrauchen. Anstatt für die Betriebspsychologische Abteilung meine Mitarbeiter zu betreuen, schleppt der alles mögliche Getier in die Hölle. Stundenlang spricht der mit dem. Meine Gäste unten tuscheln schon darüber. Hey, der wäre doch gut für oben…“


„Lass mal gut sein, Luzifer. Franz ist eine Seele von Heiliger, aber praktisch - naja, wahrscheinlich würde ich an jedem Antrag eine zweiseitige, tiefenpsychologische Betrachtung angeheftet kriegen von ihm. Und Du weißt, wie empfindlich Franz sein kann, wenn man seine Anmerkungen nicht liest! Vor allem das Kleingedruckte, das lässt er immer von den Wichteln schreiben. Himmel-ICH-noch-einmal…“

„Du hast geflucht!“ Luzifer kringelte sich fast vor Lachen. „Das ist wirklich einsame Spitze!“


Der himmlische Herrscher duckte sich. „Sei doch nicht so laut! Wenn Chrissie dich hört…sie will auch noch vorbeikommen.“

„Oh … Chrissie ist in der Nähe?“ Sofort senkte der Teufel die Lautstärke seiner Stimme und flüsterte nur noch heiser. „Wenn das Christkind davon erfährt, dass Du geflucht hast … dann kann’ste dich warm einpacken!“


„Sag ich doch! Mein Freund, Du weißt gar nicht, wie gut es dir geht! Blasius zum Beispiel ist nur noch mit seiner Bigband zugange, Arsenius mischt irgendwelche Heiltinkturen, welche die Cherubime noch kränker machen und diese kleinen Wichtelzwerge von Franz wuseln dauernd unter den Füßen herum. Warum sich Franz nicht auf die Herstellung von Branntwein konzentriert, weiß ich auch nicht!“


„Psst, bist du verrückt? Wenn die Wichtel hören, dass Du sie in Verbindung mit dem Wort „Klein“ nennst … denk daran, wie Servatius letztens ausgesehen hat! Die haben den richtig platt gemacht!“ Luzifer winkte einem der kleinen Männchen und machte das eindeutige Zeichen für „Nachschenken“.
„14 Tage hat der nur Hafersuppe essen können, durch einen Strohhalm wohlgemerkt! Obwohl: als Chef der himmlischen Kantine und Oberster Kellner und Serviettenfalter … bei Dir oben wird sein Haferbrei wahrscheinlich mit Kaviar und Trüffeln versetzt gewesen sein.“


„Luzifer, mein Freund, Du vergisst. dass wir alle sparen müssen. Da ist kein Geld für Fischeier und moderige Pilzknollen drin!“


An dem Tisch, an dem der heilige Christophorus saß und die Würfel rollen ließ, wurde es unruhig. Einer der Folterknechte und Bodyguards von Luzifer, ein übel zugerichteter Unterteufel mit Pferdefuß und 1 ½ Hörnern, schüttelte drohend die Krallenfaust und fluchte auf infernalisch. Christophorus aber schüttelte nur den Kopf und sandte dem Wütenden ein aufreizend beruhigendes Lächeln. Das war zu viel für den armen Teufel … ehe sich Christophorus versah, wurde er von den Krallen über den Tisch gezogen. Anscheinend fiel dem Heiligen erst jetzt auf, dass er mit Unterwelt-Hells-Angels gewürfelt hatte, Panik machte sich auf seinem Gesicht breit.


„Will’ste nich’ mal eingreifen? Is’ schließlich dein Angestellter!“ Der Höllenfürst verspürte eine seiner seltenen, mitfühlenden Anwallungen.


„Und DEINE Bodyguards!“ meinte ER und nippte ungerührt weiter an seinem Punsch.

„Aber Chris …“ antwortete Luzifer.


„Chris, Chris … ich kann nicht dauernd im Einsatz sein. Ich brauche auch mal ein wenig Freizeit!“


„Aha, dann haben Deine Menschen anscheinend recht. Die glauben nämlich, dass Du NIE da bist, wenn sie dich wirklich brauchen!“


„Blödsinn!“ ER winkte einem der Wichtel und bestellte Nachschub.

Inzwischen hatten die stark beschwipsten Rentiere die Nöte des heiligen Christophorus bemerkt und rückten geschlossen zu dessen Verteidigung an. Schließlich war er einer derjenigen, die immer nett waren, wenn auch ein wenig trottelig. Rudi und seine Freunde hatten da schon ganz andere Heilige kennengelernt. Zum Beispiel Pankratius, der immer mit einem Gesicht herumlief, welches ihn schon nach außen hin als den Schutzheiligen aller Bauchspeichel- und Gallenkranken erkenntlich machte.

Rudi (eben der mit der roten Nase) stapfte mit schwerem Hufschlag zu dem angreifenden Teufel und legte ihm seinen rechten Vorderhuf auf die Schulter. „Lass ihn los, du kleiner Wicht!“


Erschrocken zog der Satansdiener seinen Schwanz ein, hielt den Heiligen aber immer noch fest. Ein vorbei flitzender Wichtel hatte nur die Worte „klein“ und „Wicht“ vernommen, auf sich bezogen und trat nun Rudi mit aller Kraft gegen einen seiner vier Knöchel.

„Auuuuuuu….“ Rudi ließ den Teufel los, hüpfte auf drei Beinen herum und hielt sich das lädierte Gelenk. Die Chance nutze der Unter-Teufel: er holte aus und verpasste seinem Gegner einen Kinnhaken, der das Ren auf eine Reise ins Wintertraumland schickte.

Ein Mini-Holzfass flog direkt auf GOTT zu (geworfen von einem extrem kleinen Wichtel mit Bodybuilderambitionen), streifte dessen linke Wange und segelte dann in elegant-holperiger Manier weiter zu einigen Putten. ER schnappte sich einen der schweren Kandelaber, die auf den Tischen der Schenke standen, während Rudis Ren-Kollege Georg auf die Kraft seiner Hufe und sein gewaltiges Geweih vertraute. Die Putten flüchteten eiligst. Luzifer stand abseits und feuerte beide Seiten an, die himmlische und die höllische. Er hatte schon immer für Neutralität eine gewisse Sympathie empfunden, sich bisher jedoch nicht getraut, ein praktisches Experiment durchzuführen. Die Wichtel warfen weiter wahllos mit Bierkrügen, Punschgläsern und kleinen Honigweinfässern. Innerhalb kürzester Zeit war die beste Kneipenschlägerei, die Himmel und Hölle jemals gesehen hatten, in vollem Gange. Einzig Christophorus hatte sich heimlich und leise davon gemacht.



„Was is’ denn nu’ mit den Assi’s?“ GOTT nuschelte etwas, die aufgeplatzte Lippe behinderte ihn beim Sprechen. Friedlich vereint hockten er und der Oberteufel am nächsten Tag im Büro von IHM. „Ich komm’ mi’ der Arbei‘  einfa’ nich’ hin. Chrissie is’ au’ schon misstrau‘sch geworden.“

Luzifer schritt o-beinig auf die Säcke voller Bittgebete, Eingaben und Formularvorlagen zu. „Weiß’te was? Ich schnapp’ mir einfach ein paar Säcke deiner Unterlagen und verfeuer die unten. Spart mir sicher einiges an Heizkosten. Meine Gäste sind alle so kalt wie Hundeschnauzen, frieren andauernd. Blut und Tränen haben schon wieder kräftig angezogen, ich krieg’ die jetzt nur noch aus Entwicklungsländern und so. Den anderen geht es zu gut, denen kann ich gar nicht groß was abziehen fürs Fegefeuer. Außerdem kannst Du wohl ein bisschen Erholung gebrauchen, Alter, so wie du aussiehst. Ich hab’ mich jedenfalls prächtig amüsiert! Und du genehmigst mir im Gegenzug die neuen Schutzanzüge und ne vernünftige Kesselinspektion, okay?“ Luzifer gab einen erstklassigen John Wayne ab, wenn er es darauf anlegte. Bevor ER einen Einwand machen konnte, verschwand der Teufel mittels Entmaterialisierung.

ER starrte die wolkenweißen Vorzimmerwände an, ließ sich wieder in seinen Schreibtischsessel sinken. „Na, klasse. Hoffentlich kriegt Chrissie das nicht raus, den Deal mit Luzifer.“ dachte er, während er dem neuesten Rasierwasser des Satans hinterher schnupperte.


„Inferno numero uno“ war auch nicht besser als die anderen Stinkbomben, mit denen der Teufel sich sonst parfümierte, räsonierte GOTT. Dann öffnete er die oberste Schublade des Tisches und entkorkte den kleinen Flachmann mit hochprozentigem „Grappa di Angelo“ aus dem „Valle paradaisio“. „Eigentlich kann nichts schief gehen, Luzifer hält dicht und ich sag auch kein Wort. Und selbst wenn Chrissie … was soll’s! Schließlich habe ich hier das Sagen, und nicht das Christkind oder einer von diesen verdammten Heiligen!“  

 
ER nahm einen erneuten, tiefen Schluck aus dem Flachmann. Er konnte gut damit leben, dass in der Hölle Heizkosten eingespart wurden - nur dass Luzifer jetzt etwas gut hatte bei ihm – das störte GOTT doch sehr…

 




„Oh …. Das wird IHM aber gar nicht gefallen!“ Fritz, der Rentierkollege von Rudi, blickte sorgenvoll erst Rudi und Klausi an, dann den Schlitten. „Den habt ihr beide ja klasse hingekriegt!“

 
Rudi, dessen rote Nase arg aus der Form geraten war und jeglichen Beleuchtungseffekt eingestellt hatte, schnaubte nur. Auch der Weihnachtsmann konnte nicht mehr als ein gequältes Schnauben herausbringen. Dass jetzt im Frühling bei den Testfahrten schon eine Karambolage mit Totalschaden auftrat, war fatal. Immerhin wurde auch im Himmel gespart und die Sponsorengelder für den Wagenpark flossen nicht mehr so reichlich wie einst.

 

„Der Schlitten ist voll Schrott, das ist klar“, fuhr Fritz fort, „Da könnt ihr froh sein, wenn euch Christopherus auch nur einen müden Friedenstaler dafür gibt!“

 

„Wiescho scholl Chris denn unsch …?“ Rudi hatte starke Sprachschwierigkeiten, da sein Maul mit einer aufgeplatzten Lippe gesegnet war.

 

Fritz kratzte unwillig mit den Vorderhufen. „Sag bloß, ihr wisst noch nicht, dass der Heilige Christopherus den HSP übernommen? Von Luzifer. Ist so eine Art Joint venture…“

 

„Joint wasch? Isch Chrisch etwa unter die Dealer gegangen? Dasch ER ihm schowasch erlaubt, wundert misch aber!“ nuschelte Rudi. „Und wasch ischt Haespe?“

„Himmlischer Schrottplatz natürlich. Christopherus ist doch der geeignete Betreiber für so was, als Schutzheiliger der Autofahrer und so…“

 

„Asch scho, ja.“ musste Rudi zugegeben. „Aber isch glaub’, du scholltest mal scho langscham die Rettungschengel anrufen. Klauschi schieht ein bischschen blasch um scheine Nasche ausch!“

 

In der Tat: die Gesichtsfarbe des Weihnachtsmannes erinnerte an abgestandene, mindestens 4 Tage alte Hafersuppe. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er sich den rechten Arm fest und sah auch sonst reichlich ramponiert aus.

 

„Ihr habt mir immer noch nicht erzählt, wie euch dieses … Malheur….passiert ist!“ nörgelte Fritz, tippte aber nichtsdestotrotz die Notfallnummer des Spitals „Zum ewigen Frieden“ in sein Diensthandy.

 

„Wir haben eine Teschtfahrt gemacht!“

 

„Ach so! Moment mal, Rudi … hab ich jetzt die Rettungsengel …. Jungs, schickt doch mal euren Einsatzcherubim zum Rentierstall …. Ach, nur Rudi und Klausi …. Nee, schwer ja, aber nicht schwer verletzt, der Klausi …. Rudi auch, der nuschelt …. Okay, bis gleich dann!“ Fritz wandte seine Aufmerksamkeit wieder den beiden Verunglückten zu.

„Testfahrt, soso… ich wünsch euch auf alle Fälle viel Glück, wenn ihr IHM das hier beichten müsst.“

 

Die laute Halleluja - Sirene der Cherubim-Ambulanz „Schnelle Samariter“ näherte sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dem Rentierstall, vor dessen Eingangstor der zerstörte Schlitten und die ebenso demoliert aussehenden Verletzten lagerten.

 

„Ich geh’ dann mal rein und sag Chrissie Bescheid, dass ihr ins Spital kommt.“ Fritz verabschiedete sich mit einem leisen „TssTsss“ und verschwand im Stall.

In der Notaufnahme des Spitals „Zum ewigen Frieden“ versuchten drei interdisziplinär ausgebildete Obercherubime und mehrere Krankenengel, die Wunden von Rudi und dem Weihnachtsmann zu versorgen. ER hatte sogar auf dem Olymp um Hilfe nachgesucht und Hippokrates einfliegen lassen.

Eben jener stand nun mit gerunzelter Stirn vor den Verletzten und murmelte andauernd vor sich hin.

 

„Was sagt er da die ganze Zeit?“ fragte Chrissie. Das Christkind war halb aufgelöst, mit wirren Haaren und nur notdürftig bekleidet. Sogar der Heiligenschein hatte keinen Glanz vor lauter Sorge um die Freunde.

 

„Er schwört tausend Eide, dass er die beiden wieder hinkriegt, allerdings weiß keiner, ob das noch vor Heiligabend zu machen ist. Die beiden haben einen Schock und weigern sich, jemals wieder einen Schlitten zu besteigen. Da wird die psychologische Abteilung von Franz von Assisi noch jede Menge Vogelstimmen-CD’s und Delphin-Gesprächstherapie mit unseren Möchtegern-Formel-Eins-Piloten abhalten müssen.“ antwortete der heilige Servatius. „Möchtest du einen Schluck Paradiessaft aus dem Automaten?“ Der Heilige konnte seine Herkunft als ehemaliger Schutzpatron des Kellnergewerbes nicht verbergen, auch wenn er seit 400 Jahren für das wirtschaftliche Funktionieren der Zentralküche im Himmel und im Spital verantwortlich war.

 

„Aber wenn Rudi und Klausi ausfallen…“

 

„Tja, ich sach’ mal, dann muss jemand anderes ran! Wie wär’s mit Fritz als Rudi-Ersatz?“

 

„Nee“, antwortete Chrissie, „der macht die Menschen wach, wegen seiner dicken Mandeln. Der schnauft bei der geringsten Anstrengung wie 500 Lokomotiven.“

 

„Und Dickie?“

 

Entgeistert sah Chrissie den Heiligen Servatius an: „Dickie ist zu dick! Der ist viel zu langsam…“

 

Der Gestank von Schwefel vermischt mit dem penetranten Geruch von „Inferno numero uno“, dem neuesten Rasierwasser der Unterwelt-Parfümerie „Stinkbombe“, verkündete das Nahen von Luzifer. „Hey, was is’ denn mit den beiden Torfnasen passiert?“

„Die liegen flach, Klausi hat sich einige Rippen gebrochen und den Arm, Rudi nuschelt und hat ne’ Gehirnerschütterung, die nicht von schlechten Eltern ist. Außerdem müssen beide in die Psychotherapie, weil sie nicht mehr fahren wollen. Sieht ganz danach aus, als würde das diesjährige Weihnachtsfest für die Menschen teilweise ins Wasser fallen. Chrissie schafft nicht die ganze Welt alleine.“ meinte Servatius.

 

„Nä nich’? Und wo krieg ich dann meine Tränen her? Und meinen Zank und Streit? Kinder, wir müssen was unternehmen.“

„Also, ich hätte da vielleicht eine Idee …“ begann Chrissie. Sie rückte den Heiligenschein zurecht, ordnete die Haare und erklärte Luzifer und Servatius ihren Plan.

 

Etliche Monate später, in der Weihnachtsnacht, konnten aufmerksame Beobachter (von der Erde) ein seltsam aussehendes Gefährt am Himmel erkennen. Vor den Ambulanztransporter, einem BMW (Biblische Motoren Werke) war ein zerrupft und ungepflegt aussehender Luzifer gespannt. Eine batteriebetriebene Pappnase leuchtete abwechselnd in allen Farben des Regenbogens und eine rot-weiße Zipfelmütze mit angenähtem Filzgeweih schmückte seinen Kopf. Aus der hinteren Ladeluke des Transporters warf der heilige Servatius, formvollendet mit Frack bekleidet und Tuch über dem Unterarm, die Geschenke in die Kamine der Menschen und murmelte fortwährend „Guten Appetit“.



 

Chrissies Heiligenschein war einigermaßen verrutscht. Das störte sie aber kein bisschen, im Gegenteil – sie wirbelte voller Freude im Kreis herum, wedelte mit den Armen und versuchte, möglichst verführerisch mit dem Hinterteil zu wackeln.

 

Der Schutzheilige der Architekten, Thomas, war so freundlich gewesen, eine kleine Bühne aus Schäfchenwolken zu entwerfen. Die Wichtel und die Hasen aus der ÖSA (Österliche-Service-Abteilung) waren angerückt, um das Ganze farbenfroh mit biologisch abbaubaren Eierfarben zu bepinseln. Sogar Luzifer hatte sich bereit erklärt, eine kleine, halbverbrannte Palme aus seinem Dekorationsfundus zu spenden. Für neue Gäste aus Sibirien gab er sich immer Mühe, möglichst eine erholsame Höllenkulisse zu gestalten. Schließlich hatten die es schon zu Lebzeiten schwer genug gehabt in dieser Eiseskälte dort.

Auch Adam und Eva waren eingeladen worden (nebst Schlange), sie saßen neben der Bühne und bastelten lange Ketten aus Papierblumen. Der heilige Silvester kümmerte sich um die Fässer, in denen Holzfeuer brannten.

 

„Weiß ER eigentlich schon von Chrissies neuestem Hobby?“ Rudi scharrte mit den Hufen. Als er und Klausi aus den wohlverdienten Ferien zurückgekehrt waren, hatte Pankratius sie direkt an der Himmelspforte abgefangen und den beiden die Neuigkeit mitgeteilt.

 

Der Patron der Gallen- und Bauchspeicheldrüsenkranken wiegte unschlüssig mit dem Kopf. „Keine Ahnung. Aber warum sollte er etwas dagegen haben? Sieht doch ganz nett aus. Schöne Beine hat Chrissie auch. Die sieht man doch sonst nie, unter diesem Schlabberlook, den sie sonst immer an hat.“

 

„Tsss …. Ich glaube nicht, dass ER begeistert ist, wenn das Christkind lasziv mit den Hüften wackelt und halbnackt durch die Gegend rennt.“

 

„Tun die Putten doch auch. Da hat er nix dagegen. Blasius hat sich übrigens richtig gefreut und seine Bigband mit Rastafrisuren und alten Fässern ausstaffiert. Seit drei Tagen komponiert er ein Requiem für Steeldrum und Orgel. Und Luzifer wird da vorne eine kleine Bar aufbauen, so richtig mit Palmwedeln als Dach und Tonnen von Sand.“

 

Rudi blickte den gelbgesichtigen Heiligen skeptisch an. „Und wo will er die Palmenblätter und den Sand herholen, he?“

 

„Na, unser Leiter der Unterabteilung „Hölle“ hat IHN überreden können, einen mittleren Hurrikan in der Karibik zu veranlassen. Da gibt es dann genügend Material…“

 

„Boah.“ Rudi staunte nicht schlecht. „Wie hat er denn das geschafft? Sonst ist ER doch immer so friedliebend und regt sich auf, wenn Petrus seine Wettermaschine mal ein klitzekleines bisschen überdreht!“

 

Pankratius wippte im Takt der karibischen Rhythmen mit.

„Luzifer hat IHM vorgestöhnt, er hätte nicht genügend verlorene Seelen als Arbeitskräfte. Die Leute auf der Erde werden ja immer älter. Dann hat er IHM noch eine Statistik vorgelegt von wegen Überbevölkerung und deren Auswirkungen auf die Umwelt. ER konnte gar nicht anders, als einzuwilligen. Manchmal kann Luzifer sehr überzeugend sein.“

Die beiden schauten Chrissies gespannt zu, die inzwischen versuchte unter einem, 30 Zentimeter über dem Wolkenpodest schwebenden, Stock hindurch zu tanzen.

 

Der Geruch nach verbrannten Haaren und einem abscheulich stinkendem Rasierwasser ließ sie aus ihrer Versunkenheit aufwachen. Luzifer, wie stets abgerissen und schmutzig, hatte sich hinter ihnen materialisiert. Seine tätowierten Arme hielten einen riesigen Busch Palmwedel. „Hey, Rudi, altes Schlachtross …. Wie geht’s Dir denn so nach dem Urlaub? Wie ich sehe, hast Du auch schon entdeckt, dass es mehr im Himmel und in der Hölle gibt, als sich die Menschen träumen lassen!“ Der Teufel ließ die Palmblätter mit einem lauten Plumps auf den Wolkenboden fallen. Dann holte er eine Flasche heraus (unetikettiert) und öffnete sie. „Hier, Jungs, wollt ihr auch mal? Echt guter Stoff, sag ich euch! Direktimport aus der Dom-Rep!“ Er hielt Rudi und Pankratius die Flasche hin.

 

„Ich nicht, du weißt schon, meine Galle …“ lehnte der Heilige ab.

 

Rudi schnupperte vorsichtig mit seiner roten Nase am Flaschenhals. Dann trank er in langen Zügen …

ER hatte so langsam die Faxen dicke. Seine Angestellten schienen in den letzten Jahrhunderten jegliches Gefühl für Anstand und Sitte verloren zu haben. Nicht nur, dass das Christkind mit Baströckchen bekleidet, Limbo tanzte, sämtliche Putten und Unterengel mit Rastalocken durch den Himmel liefen – nein, sogar Rudi war zu diesen Aufsässigen übergelaufen. Gott hatte doch tatsächlich Klausi anrufen und ihn bitten müssen, das Rentier unauffällig wieder einzufangen. Voll mit Jamaika-Rum hatte Rudi angefangen, irgendeinen Typen namens Bob Marley nachzumachen. Und das so gut, dass Eva prompt ihrem Adam den Laufpass gegeben hatte. Dieser war ausgerastet – und hatte Rudi eine verpasst. Als das Ren in die Karibik-Bar fiel, Cocktails und Rumflaschen dabei mitriss, da hatte ER den Lärm sogar in seinem Büro gehört. Rudi hatte Hufgeld gegeben und schlief nun irgendwo in einer Ecke des Himmels seinen Rausch aus.

 

Die einzige Flasche, die er in dem ganzen Tohuwabohu hatte retten können, schloss GOTT nun in sein ganz privates Schreibtischfach ein…





Luzifer und der Allmächtige hockten in der „Inferno-Bar“ und prosteten sich zu. Mittlerweile waren sie beim 5. „Hell-Raiser“ angelangt; Gott bekam allmählich leichte Schwierigkeiten mit dem Geradeaussehen. Der Teufel hingegen kippte die Drinks wie Weihwasser.

„Ich hab’ Ärger, Luzi!“ begann Gott und nahm einen weiteren, tiefen Schluck aus seinem Glas. „Richtig Ärger!“

„Mensch, Du bist GOTT! Dürfte doch ein leichtes sein, die Scherereien mit einem kleinen Fingerschnipsen aus der Welt zu schaffen. Gilt natürlich nicht für Malaise mit Frauen…“

„Nee, mit Kathi und dem Vorzimmer läuft alles bestens, wie geschmiert… Eva ist auch vom Apfelmuskoch-Trip runter. Stattdessen bastelt sie an Adam’s Outfit herum und hat einen Schneiderlehrgang belegt. Ich habe da viel schlimmeren Schlamassel am Hals. Nimmst Du auch noch einen?“

„Klar doch! Erzähl mal: Bredouille mit Buddha? Anspannung mit Allah? Oder sogar Debakel mit dem Dalai Lama?“

„Quatsch! Die Jungs sind alle in Ordnung! Innerhimmlisch liegt der Stein des Anstoßens vergraben – unsere Jungengel sind zu dumm!“

„Waaas?“ Selbst Satan, dem Dummheit in jeglicher Form durchaus nicht neu war(rekrutierte er doch die meisten seiner Hilfsheizer aus den Reihen von Hohlköpfen), verschluckte sich an dem letzten Schluck seines Getränks.

"Cassianus und Hieronymus laufen Amok momentan…“

„Na, als Patrone der irdischen Lehrerschaft müssten die doch eigentlich die Ruhe selbst sein … ewig und drei Tage Ferien, nur den halben Tag arbeiten müssen …“

„Da solltest Du dir die beiden aber einmal anhören! Die werden dir etwas ganz anderes flüstern - oder besser schreien. Eigentlich sind unsere pädagogischen Heiligen an dem Ganzen schuld. Die haben nämlich einen Test gemacht, oder anders ausgedrückt, sie haben sich ganze Testreihen einfallen lassen.“ In den leicht glasigen Augen des Himmelsherrschers erschien ein angeekeltes Blinken. Seine Experimentreihen hatten in der Geschichte des Universums und der Schöpfung viel zu oft im Desaster geendet, weshalb er in den letzten Jahrhunderten der natürlichen Evolution ihren Lauf ließ und nicht mehr versuchte, göttliche Verbesserungen einzubauen. Seine nicht mehr ausgeübte Labortätigkeit ließ ihm zudem auch mehr Zeit für die inzwischen überbordenden, administrativen Tätigkeiten als Himmelsmanager.

Luzifer orderte 2 weitere „Hell Raiser“, wobei er dem Schankteufel ein Zeichen machte. Verständig nickend goss der höllische Barkeeper die doppelte Menge 80% Rums ein. „Was für Test’s?“

„Alsoooo…“ Gott rülpste dezent. „Zuerst kamen die beiden auf die Idee, HISA-Prüfungen für die Jungengel einzuführen.“
„Was ist den HISA?“

„Himmlisch Interne Schulleistung Assesments, kurz HISA. Die Ergebnisse waren erschreckend. Sämtliche Putten waren weit unter dem Lernstand, den die gleichaltrigen Jungengel von Buddha hatten. Selbst die Naturvölker schnitten besser ab als wir. Kannst Du dir vorstellen, wie Buddha im Schneidersitz da saß, über beide Backen grinste und sich den fetten Wanst mit beiden Händen vor Lachen hielt? Und dann kam Cassianus auf die Idee mit den Vergleichsarbeiten. Sämtliche Lehrengel wurden zu Weiterbildungen geschickt und mussten Überstunden machen. Daneben wurden in Workshops Arbeitsvorlagen entwickelt für diese Arbeiten.“

„Ist doch gut…“ warf Luzifer ein.

„Nix gut! Durch die Fortbildungen, Workshops und all den Kram waren kaum noch Engel im Unterricht zu finden. Die Putten sollten stattdessen Freiarbeit machen und sich den Stoff selber reinziehen. Wegen der Überstunden kam es bei vielen der Lehrengel zu stressbedingten Krankheiten. Was die Unterrichtssituation natürlich auch nicht besserte. Hieronymus wollte seinem Kollegen nicht nachstehen und entwickelte Lernstandserhebungen für die Klassen, die noch nicht mit Leistungsnachweisen bedacht worden waren. Auch hier fiel das Resultat katastrophal aus. Diese beiden Schulheiligen überboten sich mit Überprüfungen und ließen eine Arbeit nach der anderen von den Jungengeln schreiben. Nur Unterricht stand nicht auf dem Lehrplan. Unser Nachwuchs ist dumm wie Bohnenstroh! Das Schlimmste aber ist: ich soll den Karren jetzt aus dem Dreck ziehen!“
Der Teufel kratzte sich am Hinterkopf, wobei einige Kopfläuse, jede Menge Pomade und der schwefelig-saure Geruch seines neuesten Haarwassers in die nach verbranntem Abfall riechende Atmosphäre der „Inferno-Bar“ entwichen. “DU sollst doch wohl nicht unterrichten, oder?“

„ICHbewahre! Ich soll irgendetwas tun, um die Standards zu heben. Ansonsten wollen Cassi und Hiero ihre Lehrengel aufhetzen und zum Streik verführen. Das ging damals schon nicht gut, als Eva ihr kleines Techtelmechtel mit der Schlange hatte. Angeblich ist an der ganzen Bildungsmisere im Himmel nur die mangelnde Ausstattung der Unterrichtsräume, zu wenig Personal und überhaupt nur ich schuld. Mir fällt aber nix ein! Außer, dass durch Streik gar nichts besser wird!“

„Und wenn Du konterst?“ fragte Satan.

Gott versuchte, den Teufel anzuschauen. „Kontern? Wie denn?“

„Na, indem Du eine Qualitätsanalyse anordnest. Externe Evalution …“

„Was für eine Expedition?“

„Mensch, Du schickst den beiden Heiligen einfach das Gleiche in Grün auf die Hälse, was sie den Putten angetan haben. Schüler sind immer nur so schlecht, wie ihre Schulamtsleitungen! Einige meiner Ausbildungsteufel stelle ich Dir zur Verfügung. Gegen eine kleine Leihgebühr natürlich. Dann nehmen die den Laden mal so richtig auseinander, überprüfen die Testvorgaben deiner Heiligen, nehmen die Ausstattung der Lehranstalten unter die Lupe… ich garantiere Dir: gegen einen Obulus drehen die Dir alles so, dass der Himmel und seine Auszubildenden locker gegen Buddhas Schüler anstinken können! Und Cassianus mitsamt seinem Freund Hieronymus verpassen sie ein Reformprogramm, an dem sie sich noch die nächsten zwei Ewigkeiten die Zähne ausbeißen. Wenn die beiden damit beschäftigt sind, ihre eigenen Versäumnisse als Leiter der Himmlischen Schulaufsichtsbehörde zu vertuschen, dann arbeiten sie keine Tests und all den Kram für ihre Pädagogen-Cherubime mehr aus. Ergo: die haben endlich Zeit zum Unterrichten und die Putten lernen etwas!“

„Luz’fer, dasch is’ schenial!“ der Herrscher über Paradies, Himmel, Erde und Teilbereiche der Hölle (zu denen das „Rotlicht“-Viertel mitsamt der „Inferno-Bar“ sicherlich nicht gehörte) stand schwankend auf, klopfte dem Teufel auf die Schulter und begann zu husten. Das aufsteigende Mottenpulver aus des Satans Lederkluft nebelte diesen völlig ein. „Dasch is’ au’ gut für meine Otto… Auti… Autrotät! Aber ich glaub’, ich… muss in die Heia… Bis morgen… dann komm’ du rauf in mein Büro un’ wir sprech’n drüber. Mit dem Preis… da eing’en wir… hicks… uns bestimm’…!“ Gott torkelte zur Tür der Bar hinaus, im sicheren Bewusstsein, dass demnächst alle seine Jungengel als halbe Genies dastehen, die beiden leitenden Schulheiligen mundtot und demütig sein würden und in Katharinas Schreibtischschublade genügend Kopfschmerzmittel lagerten für den nächsten Morgen.

Luzifer hingegen bestellte einen dreifachen „Hell Raiser“ und grinste: seine Rechnung für Gott würde äußerst großzügig ausfallen und sämtliche Heizkosten der nächsten drei Jahre abdecken!





Nichts, aber auch gar nichts, hätte den unvoreingenommenen Betrachter der Szenerie davor gewarnt, was in diesem, so beschaulich-moorigen, etwas altfränkischem, Heilbad abgehen würde. Normalerweise begnügte sich die Kurklinik und das ihr zugewiesene Patientenkontingent damit, sich in nach Moder und Torf riechenden Badewannen genüsslich wie die Sauen im Morast zu rekeln oder das hohe Loblied auf Kneippsche Wassergüsse und eine, nur leicht durch exzessiven Moorplackenabbau geschädigte, Fauna und Flora (sprich Wald, Ameisen) zu singen.

 

An diesem Abend jedoch war alles anders, so grundlegend verschieden von den üblichen Beschäftigungen der gewalkten, durch Hockergymnastik und Gehtraining  ermüdeten Krückstock-Rollator-Klientelen – kurz gesagt: hier steppte die Bettdecke und rollrockte das Moortier.

 

In einem Anfall adventlicher Großmut hatte GOTT nämlich dem Antrag einiger Kurgäste des Reha-Betriebes nachgegeben und war in die ostwestfälische Einöde eingeschwebt. Die Patienten hatten von Weser-Shanty-Chor, Moorhuhn-Basteln und Torfkneten genug. Ganz zu schweigen von dem seltsam bräunlichen Wichtel, der zu allen Mahlzeiten im Speisesaal herum wirrte und mit dem Besen von Knecht Ruprecht die Krümel unter den Tischen weg fegte.

 

Der Herrscher über Himmel und Erde hatte sich nach langen Verhandlungen mit Rudi dem Rentier geeinigt, aus dessen Schlittenpark das neueste XZ3 Modell Probe zu fahren. Allerdings gab es eine Bedingung: nach Rücksprache mit Klausi, dem Weihnachtsmann sollte Luzifer den Chauffeur geben. Dafür gab es genügend Gründe. Nicht nur dass Gott keine Fahrzeugführungsberechtigung besaß. Die wenigen Versuche von Regularius, dem Heiligen für das Straßenverkehrswesen, seinem obersten Dienstherrn wenigstens die Grundregeln des Fahrens beizubringen, waren hoffnungslos gescheitert. Stattdessen musste Thomas wieder die Architektenfliege zu Recht rücken und seine Bauarbeiterputten zur Wiederherstellung etlicher Wände und Wolkenbegrenzungspolder ausrücken lassen.

 

Luzifer auf die Erde zu kriegen war keine große Sache gewesen. Schnell hatte sich der Herr der Hölle in seine beste Ausgehlederkluft geworfen, angesichts der auf der Erde herrschenden Temperaturen die Schuhspikes unter den rechten Pferdefuß geschnallt und das neueste Eau de Inferno aufgelegt. Eine kurze Recherche im Internet zeigte, dass Bad Seebruch ein recht gutes Pflaster für ihn sein konnte um die Wirkung der nach Moder, verrottendem Torf und Moschusochsenexkrementen riechenden Neukomposition bei der irdischen Weiblichkeit zu testen. Überhaupt waren die Geschöpfe seines Chefs leicht zu beeindrucken, insbesondere durch Uniformen.

 

Zweieinhalb „Inferno Rockets“ aus dem „Höllischen Nebel-Stübchen“ später parkte er vor der Bürotür der heiligen Katharina (der Vorzimmerdame des OBERSTEN) und versuchte, GOTT in den Schlitten zu laden. „Cheffe, komm bei mich bei! Abfahrt nach ganz unten is angesacht!“ Des Teufels Stimme klang leicht verschroben mit einem Hauch von Lallen.

Die Schlittenbestückung war nicht ganz einfach, da Gott ebenso wie Luzifer gegoogelt hatte. Doch im Gegensatz zu Luzi hatte der Himmelsboss in die Suchmaske „Seebrück“ eingegeben. Das lag idyllisch in der Mäckpommschen Ostseenähe, umrandet von weißen Sandstränden, lieblich-lichten Buchenwäldchen und war bekannt für sein freundliches Klima. Es galt als Traumschiff unter den Bädern.

Dementsprechend war Gott in seinen weißesten Smoking gewandet, hatte sich extra noch schnell Weißhirschledertreter bei „Wolcando“, dem himmlischen Versandhandel, bestellt und auch den vor Glück aufschreienden Cherubimboten überlebt. Ausgehend von der Vermutung, dass es in Bad Seebruch neben delikater Seeatmosphäre ebenso geschmackvolles Interieur und eine 4-Sterne-Küche gab hatten die Garderobenkisten des Allerhöchsten die stolze Anzahl von 16 erreicht. Gott liebte es, sich alle zwei Stunden umzukleiden. Sozusagen zu jedem Menüpunkt  passend.

 

Nur hatte Luzifer damit das Problem aufgeladen bekommen, die ganze Bagage einschließlich des Chefs auf dem Cabrio-Schlitten zu verstauen. „Hömma, Chef, … musste wirklich so viel einpacken? Da ist nix mit Laufstegmodeln und Smoking-Präsentation. Da darfste ja noch nicht mal rauchen, außer innem Häusken direktemang anne Pflegeabteilung. Ich mein, ich hab ja nix dagegen, wenn meine potentiellen Kunden schon mal an die Klimaverhältnisse in der Hölle gewöhnt werden – aber warum das nur bei denen auffem Behandlungsplan steht, die eh schon … Hoffentlich gibt’s da wenigstens was Anständiges zu trinken. Ich hätt Lust auf nen „Holy Flusher“ mit Schuß.“

 

GOTT hatte Luzifer nur achselzuckend angesehen und war mit majestätischer Attitüde auf den Kofferberg gekrabbelt, der außer dem Fahrersitz alles belegte. „Fahren! Meine Menschen warten auf mich! Hopphopphopp!“ 

 

Um es kurz zu machen: Rudis Zugvertretung und tierischer Viertaktmotor (das diensthabende Ren hieß seltsamerweise auch noch Otto) für das Cabrio hatte sich just in jenem Momentchen aus seinen Ohrenaufwärmlautsprechermuscheln gewurschtelt und vernahm das vom Weihnachtsmann üblicherweise verwendete Startsignal. Otto schwang die Hufe wie weiland Fred Astaire und stürmte los. Mitsamt des ungesicherten Kofferberges, einem nicht gemäß der HStVO (HimmelsSTrassenVerkehrsOrdnung) angeschnallten Gott und unbesetzem Führersitz.

 

Dem Teufel blieb nichts anderes übrig als mit Höllentempo ent-und rematerialisiert nach Bad Seebruch zu eilen. IHMseidank hatte Otto schon die Koordinaten in sein Nasen-Navi einprogramiert gehabt…

 

Auf dem Kurklinischen Moorberg indes brach die Mittagszeit an. Rollatorische Damen, Miedertragende Herren, steif wie Zombies daher wandelnde Bandscheibenvorfallopfer und arthritische Rheumatiker standen auf dem, „Catwalk“ genannten, Flur vor der Speisenausgabestelle Schlange.

 

Nur Sekunden zuvor war Luzifer todesmutig materialisiert, hatte den rollenden Buchmacher ins Schmetterlings-Dekor geschubst und so uneigennützig auf einen weiteren Höllenbediensteten verzichtet. Immerhin blieb der Schlitten stehen. Rentier Ottos Nase zeigte deutliche Blessuren, sie blinkte wild durcheinander. Gott saß betäubt auf dem Schoss einer 80jährigen Rehabilitantin, die ihn erfreut mit „Main Söhnchen, libbes, du!“ betitelte. Die Gepäckstücke waren bis in den Fitnessraum, liebevoll auch Muckibude genannt, verstreut, wo die diensthabenden Therapeuten unverzüglich eine Modenschau mit den Kleidern des Allerhöchsten exerzierten.

Die ohnehin schon peinliche Situation eskalierte nur deshalb nicht, weil aus den Untiefen des Reha-Betriebes drei Moorhexen auftauchten. Bestückt mit Laptop, Behandlungsausweisen und einem folgsam ihnen folgendem Zauberlehrling rauschten sie zum Ort des Grauens. Im Café hatten sie infolge intensiver Verkostung von „Spezi spezial“, Merlot und koffeinhaltigen Heißgetränken nichts vom Chaos in der Halle mitbekommen. Rein zufällig nur stolperten sie in die Szenerie.

 

„Hömma! Wat is denn hier los? Kerl inne Kiste!“ Die Ober-Moorhexe schüttelte sich vor Abscheu, als sie den sich hilflos windenden Gott in den Armen der betagten Frau entdeckte.

Im Grunde war sie eine hilfsbereite Hexe. Nicht so eine, die Kinder in Lebkuchenhäuser sperrte oder sie gar mit Rotkohl und Klößen verspeiste. Doch hatte der oberste Magier ihr untersagt, sich weiter dem Helfersyndrom zu nähern. So ließ sie also GOTT schweren Herzens weiter in den Fängen der Alten.

„Sssowat hebt in Hamburg aber noch nicht gessehen!“ die Zunge der mittleren Moorhexe verriet eindeutig ihre eigentliche Herkunft aus dem mittelhohen Norden. Sie stolperte gerne mal, nicht nur mit der Zunge über den sspitzen Sstein.

 

„Heb i secht! Siehst bi uns nie!“ auch hexe Drei war schockiert. Dabei schlug sie bedeutsam auf ihr Pappenburger Minikommunikationscenter. Zu spät dachte sie daran, dass der Karton sehr hiebempfindlich war. „Ohohoh, dat wird teuer…!“ murmelte sie unheilahnend.

 

Einzig der Zauberlehrling stand stumm da. Es hatte ihm schlichtweg den Atem verschlagen. Nun gut - als verwünschte Leseratte (die in einem winzigen, der Restwelt völlig unbekannten osthessischen Örtchen zum Bücherwurm verwandelt worden war) lag es nicht in der Natur, eine große Klappe zu haben. Zudem ließen ihn seine drei Lehrhexen eh nie zu Wort kommen. Doch bei allem, was die Weiber bisher schon angestellt hatten: was GOTT mit seiner Entourage hier fabrizierte, das schlug jede nur vorstellbare Situation.

Luzifer musterte die Hexen eingehend. Schnuckelig, lautete sein Urteil. Mit denen würde er gerne mal die Moorbadewannen ausprobieren oder sich eine Packung geben lassen. Doch leider schien keine der Damen an ihm Interesse zu zeigen. Sie ordneten stattdessen das Durcheinander, befreiten Gott aus der Altenumarmung, sortierten die Rollatoren, legten Beinschienen wieder an (auch bei jenen Kuristen, die bisher keine tragen mussten).

 

Luzifer entschloss sich, dem immer noch verwirrt da hockenden Gott eine kleine Stärkung aus der „Inferno-Klause“ zu besorgen. Vielleicht klappte es dann für ihn selbst ja auch mit den Hexen? Wusch war er weg - und wieder da. Neben ihm polterten drei 50-Liter-Fässer mit „Devils Eye“, der neuesten Ex-und-Hopp-Kreation des Wirtes der Höllenkneipe auf die Fliesen.

 „Mädels, Jungs, Bandscheibengeschädigte und Oberschenkelhalsbruchversehrte! Ungeehrtes Personal, Cheffe und natürlich auch du, Otto! Alle ma herhören! Wat ihr hier braucht is ne astreine Fete! Mit mein Stoff inne Birne vergesster dat ganze traurige Moorplanschen in diesem Etaplissemant un ihr könnt endlich ma dat Knäckebrot-desaster un die Schmerzpillekens ad acta legen. Also Mund auf, datte ne Schippe Kohlen direkt aussem Streb reinfahren könnts un dann runner damit. Cheffe, du bist der Erste…!“

Der „Rasende Roland“, minibusfahrender Bediensteter der örtlichen Verkehrsbetriebe stürmte gegen 18.00 mit Vollgas die spiegelglatten Straßen zum Ort hinunter. Der ihm entgegenkommende „Weihnachtsmann-Express“ (ein mit Lametta behängter Linienbus) versuchte auszuweichen und versank im Senkelteich, der in früheren Zeiten das Heilmoor geliefert hatte, nun aber nur eine schlammige, stinkende Pfütze war.

 

Roland fuhr unbeirrt weiter: was dort oben in der Kurklinik abging mussten Polizei, Feuerwehr und zuallererst die Bild-zeitung erfahren: Gott tanzte ausgelassen und nicht sehr trittsicher Polka mit „seiner“ Schoßbekanntschaft, Rentier Otto schäkerte hingebungsvoll mit einer Papp-Elchin. Die Moorhexen ließen ihren Zauberlehrling fortwährend die Hänge des Hintereingangs hinauf und herunter laufen- nur um genügend Pfännchen für ihr Geheimgericht „Schnitzel Jakkeline an Sahnerahmsösschen mit Kroketten und vegetarischen Vitaminbömbchen“ aus der Küche des oberhalb der Klinik gelegenen Restaurants zu klauen. Die Hexen waren sich einig: die einzige Anlaufstelle für Nahrungsflüchtlinge der Klinik (und das waren nicht wenige) konnte sich durchaus einmal revanchieren für die Treue der Patienten! Die Reha-Asylanten ließen genug Geld in der Kaschemme. Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal lieferten sich Wettrennen mit Rollatoren und Rollstühlen. Im Bewegungsbad erhielt der Wassergymnastik- Beauftrage Unterricht im manövrieren von Unterseebooten durch einen ehemaligen Admiral des 2. Weltkriegsflotte. Allerdings stellte der Gymnast selber das U-Boot dar. Nur dem beherzten Eingreifen der Moorbehandlungstruppe war es zu verdanken dass das „U 32“ nicht absoff. Die drei Damen der Moortankstelle warfen ihm ungefüllte Wärmeträger zu, die sie schnell aufgeblasen hatten. Niemand hatte gedacht, dass der Mann nicht schwimmen konnte - am wenigsten er selber!

Sämtliche Patienten schunkelten, sangen unanständig umgedichtete Weihnachtslieder, bewarfen Gott und Luzifer mit Papierkügelchen aus den abgezählten Papierservietten. Die Serviererinnen verbesserten ihre Geschosse mit eingewickelten Hartbrotkrümeln oder ließen lustige Salatblattfähnchen wehen.

Zur Feier des Abend hatten sie die Belagrationen ungeachtet der Proteste der Klinikleitung auf unglaubliche zwei Scheiben Wurst und Käse pro Beisitzer erhöht. Die Geschäftsführung wurde mit zehn Litern „Devils Eye“ ruhiggestellt.

 

Erst gegen zwei Uhr morgens kam ein wenig Ruhe in die rauschende Veranstaltung. Die Gänge der Klinik war belegt mit schnarchenden Patienten, derangiertem Personal und einer kleinen, aber immer noch fitten, Kerntruppe des Vergnügens.

 

Die vom rasenden Roland alarmierten Ordnungs-und Rettungstrupps waren mit einem kleinen Höllentrunk besänftigt und eingeschläfert worden, die Blitzreporter des Boulevardpresse waren schon nach drei Tropfens des Höllengebräus aus den Latschen gekippt. Auch Gott schlief selig an Rentier Otto gekuschelt auf dem Rücksitz des Himmelschlittens.

 

„Hexkens, ich könnt euch knutschen!“ lallte Luzifer. „Sonne Sauce…!“

 

„Geh mich weg mit Sösskens! Ich kann dat Wort schon nich mehr hören. Sach ma, du Fürstchen vonnem Untergeschoß, wat is eigentlich mit deinem Boss los? Der hing anfangs inne Seile un nu auch wieder. Aber dazwischen wollter garnich mehr weg vonne Rehafront. Un ein bissken auf Schmierlapp konnt der auch machen. Hätt ich nich von Gott gedacht, ährlich!“

 

„Ach der, der isss nix Gutesss gewöhnt, sssach ich euch.“ Hexe zwei kiekste leicht und winkte dem Zauberlehrling. „Jung, komm bei mich bei, bei dich isss ssschiet! Sssitz, ZL!“ 

 

Der Magieauszubildende schüttelte nur den Kopf. Genug war genug. Er hatte die Nase voll vom Laufen und Pfännchenholen, er musste endlich einmal nur Stehen dürfen.

 

„Buten is binnen un is draußen drinnen?“ die Papenburger Unheilsmaid gackerte vor sich hin. „Ohoho, dat wird düüür.“

 

„Und wer räumt das Ganze hier auf?“ fragte der Hexen-Azubi.

 

„Na wer wohl?“ Unisono wurde der Magieauszubildende ausgeguckt.

 

„Dafür gibbet schließlich dieses Kroppzeug von Lehrlingen. Wir gehen auf jeden fall inne Partymeile von diesem Flötotto oder wie dat heißt nen gaaaaanz kleinen Absacker verpusemantuckeln. Auf ein Schlappen is schließlich nich gut steppen. Können wir nur hoffen, dattse auch aufhaben inne Pampa da draußen.“ Luzifer war fest entschlossen, mit den drei Hexen in nähere Bekanntschaft einzutreten.

 

Der ZL schluckte mühsam. „Und was ist mit Ihrem Chef … ich meine … mit Herrn Gott!?“

 

„Och, den schick ich mit Otto schon mal wieder nach oben. Das Rentier findet den Weg auch im Schlaf. Un wennet nich klappt….dann landet der Boss eh im „Höllischen Tropfen“ oder sonst ner Spelunke bei mir. Luzifer hakte sich bei zwei von drei Moorhexen unter. „Kommt, Mädels, auffi geht’s!“

 

Nur die Putzfrauen und das Pfortenpersonal wunderten sich bei Dienstbeginn um sechs Uhr über die wahrlich himmlische Ruhe, die über der Klinik lag. Was sie jedoch noch mehr irritierte, war die Unmenge an Schnee, der augenscheinlich aus zerrissenen Servietten des Hauses bestand und fein säuberlich rund um den Tannenbaum im Foyer aufgehäufelt war…





„Kann mir mal einer freundlicherweise sagen, was zum Himmel hier los ist?“ Petrus, seiner sonstigen Ruhe und Gelassenheit völlig verlustig gegangen, stürmte in das Büro von GOTT. „Da draußen lungern turbanbewehrte Inder, meditierende Mönche in Orange und vollbärtige Wüstenheilige mit Kamelen im Schlepptau herum. Die wollen alle zu Dir!“
ER drehte sich langsam mit dem weich gepolsterten Chefsessel herum. „Ach... das ist ja schön, dass meine Gäste eingetroffen sind!“


„Gäste? Warum weiß ich nichts davon, dass Du Besuch erwartest? Die Wach-Cherubime von der „HimSec“ sind völlig geschockt und zudem überlastet. Was glaubst Du eigentlich, was das für ein Aufwand ist, die ganzen Leute auf versteckte Waffen zu checken. Von der Gesinnungsprüfung ganz zu schweigen.“ Der himmlische Herrscher erhob sich aus seinem Sessel und blickte den Hüter der paradiesischen Eingangspforte überrascht an. „Was redest Du da von Eingangskontrollen und Waffenüberprüfung? Bist Du noch ganz gescheit, so mit meinen Kollegen umzuspringen?“

Petrus kratzte sich völlig verwirrt den fast kahlen Schädel. Dann begann er zögernd: “Chef ... was meinst Du mit ... Kollegen?“


„Die Leute dort draußen - die Kameltreiber, wie Du sie zu bezeichnen vorlieb nahmst, sind zum Beispiel Mohammed mit Gefolge. Die wie Fans der holländischen Fußball-Nationalmannschaft aussehenden Mönche kommen aus Tibet und Nepal...ich würde nur gerne einmal wissen, wo die Vertreter der orthodoxen Kirche abgeblieben sind. Sind denn wenigstens die Naturreligionen schon eingetroffen?“


„Keine Ahnung! Wenn Du vielleicht selber mal ...“


„Worauf Du Dich verlassen kannst, Petrus! Anscheinend bist Du ja nicht in der Lage, einen vernünftigen Empfang auf die Reihe zu bekommen!“ GOTT eilte an Petrus vorbei zu der riesigen Eingangstüre seines Büros. „Nun komm schon mit, unterwegs erklärst Du mir bitte, was, bei allen Sternen, Du mit „Waffenkontrolle“ gemeint hast!“

Der Himmlische Pförtner hechelte hinter IHM her. „Chef ... geht es ... auch ...ein wenig...langsamer? Bitte!“


„Okay, okay, aber nur wenn du mir erklärst, wieso Du Sicherheitschecks eingeführt hast!“ Abrupt blieb GOTT stehen. „Setz' Dich auf den Wolkenhügel da und hol' ruhig Atem. Macht einen schlechten Eindruck, wenn wir beide durchgeschwitzt auftauchen. So ... und jetzt schieß' mal los!“


„Also ... Chef, ich habe mir wirklich nur Gutes dabei gedacht ... und auf der Erde, naja ... seit dem 11. September...und so...“


„Petrus!“ mahnte Gott leise.

„In Ordnung! Seit damals ist doch auf der Erde so eine Art Religionskrieg ausgebrochen. Zwischen Mohammed-Anhängern und Deinen Anhängern. Wobei man ehrlicherweise zugeben muss, dass Deine Religion halt circa 600 Jahre älter ist ... „

„Das weiß ich doch alles. Was glaubst Du denn, warum ich mich mit meinen Kollegen aus den anderen Theologischen Hoheitsgebieten treffe? Uns geht diese ganze Bomberei doch auch gegen den Strich!“

„Na, es bleibt eben nicht dabei, dass nur die Anhänger gegeneinander kämpfen. Unschuldige müssen sterben, sogar Atheisten stehen in letzter Zeit dauernd vor der Pforte und bitten um Einlass. Die bringen doch tatsächlich als Argument an, dass sie als Nichtgläubige ja schließlich auch keine Sünden begangen hätten...“

„Warum die Waffenkontrollen?“ Die Stimme GOTTES klang ungeduldig.


„Weil, na... weil doch alle Ausländer, die indisch, pakistanimäßig oder arabisch aussehen, potentielle Attentäter und Terroristen sind! Wer weiß denn schon, ob nicht unter dem sorgfältig gewickelten Turban eine ebenso sorgfältig hergestellte Bombe liegt oder ob einer der Höcker des Kamels mit Nitroglyzerin aufgepumpt ist? Wenn Deine hochentwickelte Menschheit das Problem mit all ihren Computern, Geheimdiensten und Videokameras nicht in den Griff kriegt, zum Teufel noch einmal - dann sind wir hier doch völlig schutzlos! Also habe ich die „HimSec“ angewiesen, Eingangskontrollen bei allen durchzuführen, die ... mhmmm ... ausländisch aussehen und in das Raster fallen.“


„Raster?“


„Ja, Raster. Eine Erfindung Deiner Menschen. Gibt es auch in der Variante „Rasterfahndung“. Geht so: zuerst machst Du Dir Gedanken, wie mögliche Attentäter aussehen könnten. In unserem Fall würde das heißen: arabisch, Hakennase, schwarze Haare, Bart, orientalischer Akzent beziehungsweise braunhäutig, Turban und indischer oder pakistanischer Akzent. Die Haarfarbe wäre gleich, eventuell auch die Hakennase. Hast Du diese Kriterien festgelegt, überlegst Du dir, was die Leute anhaben oder was sie mit sich herumschleppen könnten. Da reicht die Palette von Rucksack über Einkaufstüte aus Plastik und Koffer bis hin zum Begleit-Kamel. Oder bei der Kleidung von Burnus bis zum Business-Anzug. Der dritte Faktor ist der Grund, warum sie zu dir wollen. Studenten zum Beispiel sind allgemein verdächtig, arbeitslose Palästinenser oder unterqualifizierte PC-Inder steigen in der Gefährdungsstufe höher. Am schlimmsten sind aber Afghanen oder Kurden. Da gibt es noch die Blutrache und Waffen sind so selbstverständlich wie die Unterhosen bei Österreichern.
Ich weiß auch, dass die Religion nicht der einzige Grund für Terrorismus ist, da gibt es noch Überbevölkerung, Armut, Rassismus und etliches andere. Und dass unser Christentum sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, ist völlig klar. Hexenverbrennungen fand ich immer fürchterlich, alleine dieser Gestank nach verbranntem Fleisch...“

GOTT starrte Petrus fassungslos an. Hatten er und sein Sohn (der leider vor einigen Jahrtausenden auf tragische Weise ums Leben gekommen war) völlig versagt? Wo waren seine Anweisungen geblieben betreffs „Liebe deinen Nächsten“ und „Wenn man dich schlägt, halt die andere Wange auch noch hin“? Dass auf der Erde, bei seinen eigenen Geschöpfen, das Miteinander nicht glatt lief hatte er in den letzten Jahrhunderten, ach was, seit Anbeginn der Zeit, erdulden müssen. Bisher allerdings war er davon ausgegangen, dass wenigstens in seinem Reich himmlischer Friede und vernünftige Toleranz herrschten. Ausgerechnet Petrus, schien aber völlig vom Pfad der Friedfertigkeit und des IHMvertrauens abgewichen zu sein.

„Hast Du denn schon mal...?“ fragte GOTT.


„Nö, bisher haben wir nichts gefunden, was irgendwie als Waffe herhalten könnte. DIRseidank! Einige Schriftsteller aus dem Iran haben zwar ihre Dolche mitgebracht, aber die brauchten die wirklich nur zum Bleistiftanspitzen. Obwohl - wir haben sie schon noch im Auge. Was will ein Iraner und Muslim hier bei uns? 40 Jungfrauen können wir nicht aufbieten, Eva ist völlig damit ausgebucht, Adam mit Apfelmus zu bekochen. Die hat keine Zeit, sich um die Gäste zu kümmern und in der Kantine kredenzt Servatius zwischenzeitlich auch mal Schweinefleisch...“

„Sie sind nach Absprache mit Mohammed zu uns umgesiedelt worden. Die Jungfrauen hatten einfach keine Termine mehr frei und Platzmangel herrschte auch! In der letzten Zeit kamen einfach zu viele Kriegsopfer und Bombentote aus dem Irak zu ihm herauf. Mohamed hatte angefragt, ob wir nicht eine Ecke frei hätten. Die Schriftsteller bräuchten eh' nur einen Schreibtisch und eine Wasserpfeife. Ich finde es eine gute Idee, Integration ist wichtig und bereichert das Dasein. Mich stört es sowieso nicht, ob 2 oder 3 Millionen Menschen an mich glauben. Die anderen übrigens auch nicht! Den ganzen Stress macht doch sowieso nur der ganze Tross von Stellvertretern auf der Erde. Aber die können wir leider nicht abschaffen, zu viel Verwaltungsaufwand. Wir können nur darauf hoffen, dass sich die Menge der Glaubensvertreter von alleine reguliert, mit diesem Zölibatsquatsch wird das schon laufen. Aber etwas anderes...ehrlich gesagt, würde ich gerne auch einige buddhistische Mönche und ein oder zwei Voodoo-Priester aufnehmen. Sollen hervorragend Schach spielen können...“ ER schaute auf die Uhr aus gehärtetem Sternenstaub. „Petrus, los, steh auf. Wir haben uns verquatscht. Sieh zu, dass Du deine Cherubime zurückpfeifst. Solange ich hier der Chef bin, wird bei keinem meiner Besucher nach versteckten Waffen gewühlt. Ich lege Wert auf brüderliche Verständigung und verabscheue Repressalien. Insbesondere jetzt, wo auf der Erde die religiösen Emotionen so hochkochen. Ich habe meinem persönlichen Stellvertreter auch schon 'ne Bulle geschickt...“


„Wieso schickst Du dem Papst denn Rindviecher? Haben die im Vatikan etwa nicht genug zu essen?“ staunte Petrus.
„Eine Bulle ist eine allerhöchste Verfügung; Du ...Du...Dummkopf! Also: ich habe ihm eine Bulle geschickt, indem ich ihn anweise, seine Reden demnächst gegenlesen zu lassen. Helfen wird das zwar auch nicht viel, aber was soll's. Der gute Wille... Wer Zitate missverstehen will, tut das auch. Sie sind die Menschen eben. Meine Kollegen werden sich auch an ihre jeweiligen Manager wenden. Mensch, Petrus, wie können denn meine Menschen lernen, friedlich miteinander zu leben, ohne auf Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit zu achten? Wie sollen sie lernen, dass ein Mensch ein Mensch ist, nicht besser oder schlechter als sie selber, wenn selbst in den irdischen Filialen alles kreuz und quer geht? ICHnocheinmal, warum habe ich mir das eigentlich alles angetan...?“

„Äh ... Chef ... ich glaube, das war die Vorsehung ... oder so was Ähnliches. Auf alle Fälle scheinen die Naturreligionen auch eingetroffen zu sein. Ich sehe dort Bantu's und auch Wotan scheint mit seiner Eiche angekommen zu sein ...Vorsicht!“ Petrus duckte sich und zog GOTT gerade noch rechtzeitig zur Seite. Ein riesiger Baumstamm war nur haarscharf an ihnen vorbei geflogen und verschwand jetzt in der unendlich großen Weite der Milchstraße.


„Wotan hat immer so einen kindischen Spaß auf Lager. Er ist heute noch stolz darauf, dass die Schotten seine Idee des Baumstammweitwurfes fortführen...“ seufzte GOTT, setzte aber trotzdem sein strahlendstes Lächeln auf. Mit weit ausgebreiteten Armen eilte er auf die Delegationen zu.

Er würde versuchen, seine Kollegen zu einem Einwirken auf die Menschen zu bewegen. Wenn die Erdbevölkerung nicht im Guten hören wollte, wären notfalls Sintfluten und Erdbeben, in Verbindung mit dem Erscheinen einiger maßregelnder göttlicher Boten, eine Möglichkeit. Wenn das gelungen war, hätte auch der Himmel einige Weiterbildungen in Sachen “Toleranz und Friede“ nötig... er hoffte inständig, dass es noch nicht zu spät war. Der Gedanke, dass sich selbst im Paradies Glaubenskonflikte breitmachen konnten, war ihm unerträglich...