Willkommen!
Das Frischeste aus den Büchsen der Musen
Meine Empfehlungen
 Short-Stories
Schneeblondchen
Reiseberichte
Höllisch gute Himmelsstories
Käthe un Änne...
Gästebuch
Blog
Geschichten von Gastautoren

Thalia, Kalliope, Melpomene ...und natürlich Schneeblondchen,  öffnen hier ihre Büchsen für das neueste, frischeste Geschriebene. Viel Vergnügen! 

Bitte auch in die letzten Ausgaben der Bierglas-Lyrik.ch schauen!!!



Gestern starb ich


Ich hocke in einem Glaskasten. Wildfremde Menschen schlendern an mir vorbei. Interessierte und schockierte Blicke treffen mich. Nach all dem, was ich über mich habe ergehen lassen müssen, nun auch noch dies. Zur Schau gestellt wie eine seltene Keramik oder ein wildes Tier. Sogar einen Teil meiner Kleidung haben sie mir genommen. Trotzdem friere ich nicht. Wie auch. Seit wann kauere ich hier? Die Menschen, die mich betrachten, sehen seltsam aus. Aber ich habe mich schnell an sie gewöhnt. Anders geht es mir, wenn man mich holt. Sie entnehmen mir Proben, zupfen Haare aus meinen sorgfältig geflochtenen Zöpfchen. Doch es tut nicht weh. Ich fühle mich nur entweiht, benutzt. Ab und an streichelt mich jemand. Äußerst vorsichtig. Es tut gut, wenn ich weiß, dass man mich mag. Ich erinnere mich an den ellenlangen Marsch. Das Aufsehen, dass ich erregte mit meiner Krone aus weißen Federn. Meine Begleiter und ich erhielten nur die beste Nahrung: sonnengelben Mais, Dörrfleisch in Hülle und Fülle. Dazu Chicha, fermentiertes Bier aus Mais und natürlich Coca-Blätter. In meinem Mund habe ich noch die Überreste davon. Coca schütze mich vor der Höhenkrankheit und vor dem Realen um mich herum. Betäubt stolperte ich dem Vulkan entgegen. Wusste ich, was mich erwartete? Sicher. Doch die Tragweite war mir nicht bewusst. Wie konnte ich auch verstehen, dass ausgerechnet ich, Tanta Cahura, ein 13-jähriges Mädchen, als Opfer ausersehen war. Bestimmt für das Wohlergehen meines Volkes zu sterben. Tod war alltäglich und es war eine Ehre zu den Göttern zu gehen. Hunderte Kilometer von Cusco, meiner Heimatstadt entfernt, reichten mir die Priester nahe dem Gipfel des Vulkans Llullaillaco eine extra große Schale Chicha, während sie neben mir eine fast quadratische Grube aushuben. Schweigend geleiteten sie mich, hießen mich in das Loch hocken. Sie gaben mir noch mehr Blätter, Statuetten, Töpferwaren und legten mir dann eine dicke, warme Decke über den Kopf. Benebelt merkte ich nur, dass sie stramm geknotet wurde am Hinterkopf. Dann wurde es dunkel. Ich schlief. Träumte. Starb. Das alles war gestern. Oder vor 531 Jahren?



Hippie-ey-yeah!

Da stand dieser Typ. Einfach so. Mit Jesuslatschen an den schmutzigen Füßen, einer Mähne für die ihn jedes Haarfärbemittel-Modell beneidet hätte und einer Kreuzung aus Gitarre, Mundharmonika und Waschmaschine vor dem Bauch. Er tat nix, ankerte einfach nur so da auf dem akkurat gepflasterten, gefegten Bahnsteig und blickte mich an.

Spontan dachte ich, dass er Glück hatte mit diesem warmen Sommer. Das bisschen „Blow‘In the Wind“ machte dem „Long-Haired Country Boy” sichtlich wenig aus. Auch wenn er nicht aus „San Francisco“ sondern eher aus Rumeln-Kaldenhausen stammte. Bestimmt war er unter dem Leitgedanken „This Land is your Land“ mit dem Regional-Zug hier in Duisburg angekommen. Getreu dem Motto „Revival“ versuchte der Kerl mit dem Lokführer „Sunshine Superman“ (auch bekannt als „Universal Soldier“), die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn AG weiter zu verschlechtern. Auf jeden Fall erschienen statt Zugangaben auf den Leuchttafeln solch kryptische Meldungen wie: „Time has come“, „Let’s live for today”, und „We shall overcome“. Keine Ahnung, wie er es in die Ansage-Kabine geschafft hatte. Vielleicht mit dem zarten Gesäusel von „I got you Babe“ zur Flüstertüten-Madame aus Lumpzig-Nöbdenitz, die normalerweise „The Times they are a changing“ mit dem angeborenen Charme eines sächsischen „Uneasy Rider“ über die Bahnhofssteige bellte. Oder er hatte ihr versprochen „Going up the Country“ in Verbindung mit „Incense and Peppermints“ gemeinsam zu versuchen. Frei nach der Devise „Love the one you‘re with“.Unter der ohnehin maroden Bedachung des Bahnhofes flatterten weiße Taubenschwärme und gurrten „Let the sunshine in“. John Lennon schwebte zwischen dem Gefliege, forderte „Give peace a chance“, was von den Beatles mit einem nicht weniger dominaten „All you need is love“ beantwortet wurde. Johnny hatte sich einfach verdoppelt, dank LSD. Mit süßlichem Haschgeruch dampfte der „Peace Train“ in den Bahnhof. Joan Baez beugte sich über mich. Ich hauchte „Kumbaya“. Der Typ rüttelte sanft an meiner Schulter. „Hey, Kumpel, wachwerden. Kumbaya, wat is dat? Wat zum Rauchen? Ich kann dir „Spirits in the sky“ zum Besten geben. Wenne wat rausrückst an Euro. Mein Hartz 4 is nich genuch, deshalb tu ich auf Hippie machen. Verkauft sich gut, in Zeiten wie diesen. Diese Spinner damals haben doch tatsächlich gedacht, datt se die Welt verändern können. Naja, auf jeden Fall haben se jede Menge Friseurgeld gespart. Macht sich heute echt bemerkbar, dat sach ich dir, Kumpel! Ich wollt eigentlich nur sagen, datt der Zuch gleich abfährt. Wenne in den einsteigen wolltest, Kumpel?!“ Ich hielt ihm einen Zehneuroschein hin. „Imagine!“ sagte ich im Weggehen. „We ain’t got nothing yet“, aber es ist „A beautiful morning“. Du bist ein “Fortunate son”, nur deine Haare sind “Puff Magic Dragon”. Ich sag dir eins, „Mr. Tamborine Man“, - lass es mit dem Hippiesein. Du kannst das nicht. Das muss innerlich sein. Und du … du bist nicht „Born to be wild“. Nicht einmal “California Dreaming”. Der Typ blickte mir verständnislos und stumm hinterher. Ich summte bei meinem Weg aus dem Bahnhof „I’d love to change the world“ vor mich her. Löste dabei meinen dünnen, aber langen, grauen Pferdeschwanz, zupfte das Batik-Hemd zu Recht, und dachte an das einmalige Erlebnis, damals in Woodstock dabei gewesen zu sein. An Jimi Hendrix, Arlo Guthrie. The Who, Grateful Dead, Santana, Joe Cocker und die unvergessliche Janis Joplin. Ich trat in den warmen Sommerregen hinaus und fühlte mich frei. „Hippie-i-yeh!“


 - The Beatles, Let the Sunshine In - 5th Dimension, Blowin' In The Wind - Bob Dylan, Give Peace A Chance - John Lennon, Going Up the Country - Canned Heat, I Got You Babe - Sonny & Cher, Imagine - John Lennon, Incense And Peppermints - Strawberry Alarm Clock, Kumbaya - Joan Baez, Let's Live For Today - The Grass Roots, Long-Haired Country Boy - The Charlie Daniels Band, Love The One You're With - Stephen Stills, Peace Train - Cat Stevens, Revival - The Allman Brothers Band, San Francisco  - Scott McKenzie, Sunshine Superman - Donovan, The Times They Are A Changin' - Bob Dylan, This Land Is Your Land - Woody Guthrie, Time Has Come  - The Chambers Brothers, Uneasy Rider - The Charlie Daniels Band, Universal Soldier - Buffy Sainte-Marie, We Shall Overcome - Pete Seeger    




Schneeblondchens Amouren mit dem Ball

Schneeblondchen ist ätherisch schön, klug, eloquent - und im gleichen Maße unausstehlich, eigensinnig und unberechenbar. Sie wird von anderen geliebt, von mir gehasst. Wenn es ihr einfällt, sitzt sie mir im Nacken und diktiert traumhafte Texte in meine Tipp-Fingerspitzen. Scharfzüngige Pamphlete, flammende Reden, äußerst originelle Stories jeglicher Länge und Genre. Aber nur, wenn es ihr einfällt!

Sie ist meine Muse. Die mich zur Verzweiflung treibt.

Ach so, nymphoman ist sie dabei auch noch. Z.B. bei der letzten Weltmeisterschaft. Da ist sie einfach durchgebrannt. Nur um diesem Schweini nachzusteigen. Pah, der war doch viel zu jung für die. Als der nicht wollte hat sie sich fast lahm gelaufen, immer hinter dem Phillip her. Ich saß derweil hier dumm rum, ohne Ideen, ohne Inspiration. Naja, irgendwann kam sie dann braungebrannt aus Afrika zurück. Nuschelte was von vergeblicher Löw-enjagd, dass sie Fußball noch nie mochte und verkroch sich für geschlagene 4 Wochen in den letzten Winkel meiner Genialitäten-Hirnwindung.

Doch dann erwachte Schneeblondchens Interesse an dem Trittballspiel erneut: die Bundesliga begann. Sie nötigte mich einen eher nachlässig geschriebenen, nicht besonders zündenden Bericht über den MSV herzustellen. Nur um mich bei Laune zu halten. Ließ mich sämtliche vom DFB aufgestellten Fußballregeln recherchieren, Listen von Liga-Vereinen erstellen und alle Transfers mit Argusaugen beobachteten. Ich war also beschäftigt und sie konnte wieder einmal tun, was sie wollte: rumflirten. Seitdem läuft das so, jede Saison. Ich falle immer drauf rein. Mit einem gewissen Mats hummelt sie sich durch die Hamburger Sündenmeile, dann fungiert ein Manuel als ihr Neuer. Sie sorgt für die Integration Migrationshintergründiger und mir kommen Namen wie Blazczykowski oder Gündogan (mit diesem Strich über dem zweiten g) oder Xherdan Shaqiri (ohne irgendeinen Strich) problemlos über die Lippen.

Schneeblondchen ist unersättlich, ohne Rücksicht auf gute Sitten oder Mentalitätsunterschiede. Sie nimmt jeden. Einmal ist es vorgekommen, dass Nachbarn die Polizei riefen: ein kriminell aussehender Mann mit Gesichts-Narbe machte sich an unserem Birnbaum zu schaffen und murmelte dabei fremdländisch vor sich her. Wie sich herausstellte hielt er sich für einen entfernten französischen Verwandten des Herrn Ribbeck auf Ribbeck und hieß Franck Ribery. Er wollte mit dem Obst und einer Flasche Pastis „51“ das Herz von Schneeblondchen erobern. Kurz darauf tauchten Flamenco Tänzer (Martinez und Gomez) und ein mit Schweizer Rösti bepackter Italiener namens Diego Benaglio auf. Sie alle erhofften sich dauerhaften Einlass bei meiner Muse, welche die Jungs richtig heiß gemacht hatte und dann doch kalt abservierte. Heute noch landet ab und an ein Adler mit dem schönen Vornamen Rene bei uns im Vorgarten.

Gottseidank hat sich Schneeblondchen inzwischen wieder auf ihre literarische Arbeit besonnen. Wenn auch nicht bei mir. Sie hilft momentan einem gewissen Dante beim Verfassen eines neuen Buches über Gott, Fußball und Komödie. Was immer das bezwecken soll; ich bin jedenfalls froh dass sie im Büro von Uli Hoeneß an dem Manuskript arbeiten. Scheint ja eine sehr inspirierende Umgebung dort bei Bayern München zu sein - insbesondere bei Memoiren und Steuererklärungen. Ich habe mir schon überlegt, einfach meine Unterlagen fürs Finanzamt zwischen ihre Papiere zu schmuggeln. Dann kann sie die frisierten Angaben auf CD brennen - oder vielleicht doch lieber nicht. Mir bleibt momentan nichts anderes übrig als auf Schneeblondchen weiterhin zu warten. Es ist wieder kurz vor so einer vermaledeiten Weltmeisterschaft. Ohne meine Muse bin ich aufgeschmissen. Nix an Gedankengrätschen, vom Versenken literarischer Pass-Hochleistungen im Autoren-Tor ganz zu schweigen. Keine Ideenbälle, die mir zugespielt werden. Und von diesen durchtrainierten, knackigen Männerkörpern habe ich ebenfalls nix. Nur sie.  

Also - ich sage Ihnen: mir kann Fußball gestohlen bleiben!!!




Camper sind die besseren Hippies!

Mal ehrlich: Hippies und Mobile-Unterkunftsanhänger-Besitzer eint doch das Verlangen auszubrechen aus dem schnöden Alltag, alle Regeln und Konventionen hinter sich zu lassen. Abzuhängen in der freien Natur, am besten noch mit ebenso freiem Sex, ihre Nacktheit lediglich mit Feinripp-Trägerhemd und Shorts bedeckend. Gerne auch mit Batikmuster. Jesuslatschen sind durch Aldiletten ersetzt worden. Die meisten Frauen haben sich kurz vor der Exkursion in die außerhäusliche Freiheit beim Friseur eine praktische „Afrolocken-Dauerwelle“ gegönnt. Bei den Herren der Schöpfung wird die (wenn noch vorhandene) Kopfbehaarung wachsen gelassen und mit der Rasur wird geschlampt.

Auf dem Weg ins Paradies ist man einer von vielen Gleichgesinnten, wenn sich zwei Wohnwagenhinterherzieher auf der Autobahn tempolimitbefreit überholen - es wird freundlich gehupt. Manchmal schaut einer nicht, (dem Ursprung des Wortes gemäß, aus Westafrika- da bedeutet hipi „die Augen öffnen“), genau hin und verursacht einen Unfall. Dadurch im Stau stehende Camper holen die Plastikstühle raus, machen sofort ihre Kühltasche auf und verteilen begeistert den Kartoffelsalat mit kalten „Wienern“. Wie damals in San Francisco, als Hippie-Aktivisten Suppenküchen für die Blumenkinder eröffneten. Im „hippen“ Konvoi geht es dann zum ausgesuchten Campingplatz (aus „hipi“ wurde in den 30 Jahren der USA dann „hip“, also angesagt sein).

Kaum ist man auf seiner zugewiesenen Parzelle eingetroffen, hagelt es schon Einladungen. Vorwiegend jene Zelter, die vor dem Stau am „Camp“ eingetroffen sind und alles schon aufgebaut haben, laden auf ein Bierchen und zum krebserregend stark vergrillten Kotelett. Immerhin mit Salatbeilage. Wegen der Natürlichkeit. Anstelle von süßen Haschdämpfen atmet der Camper mit Vorliebe den Rauch von verbranntem Fett und Brandbeschleuniger ein, mit dem er seinen Grill auf Hochtemperaturen treibt. Ganz Mutige nehmen auch Petroleum. Die Nachzügler versichern sich der gegenseitigen Hilfe beim Vordachauseinanderfalten: man hat sich ja schon auf der Autobahn kennengelernt und den Senf geteilt. Zum Bier gibt es dann noch „Kurze“, sozusagen der Ersatz für das LSD der damaligen Hippiezeiten. Je später die Nacht wird, umso hemmungsloser wird das fahrende Volk. Die Musik besteht aus psychedelisch vergrölten Schlagerarien, angetrunken unmelodischen Hochrufen auf das erfolgreiche Urinieren in den Topf der Chemietoilette. Dazwischen die spitzen, schrillen Lachsalven der hoffnungslos verschwurbelten Lagerfrauen, die sich mit Pikkolöchen ihre Männer schön süppeln. Manchmal auch die der Nachbarinnen. Und zuweilen klappt es dann auch mit der freien Liebe, sollte die Kombination Love, Drugs and Florian Silbereisen zusammenpassen im schummerigen Mondlicht.

Am nächsten Morgen krabbeln dann alle aus ihren Unterkünften, gehen gemeinsam zum Badehaus und bekämpfen den Kater mit einem zünftigen Frühschoppen-Event. Das Elend der Welt außerhalb der Platzumzäunung kann am besten im Suff ertragen werden. Bis zur nächsten Grillübereinkunft.

Und da…ja da ist der Widerspruch, den Sie mir gerne entgegen halten können: Die wahren Hippies der 1960er Jahre nahmen Drogen um ihr Bewusstsein zu erweitern! Sie wollten Lösungen finden für die sozialen Probleme, setzten sich persönlich ein. Ohne Tabus, ohne Weltanschauungsgrenzen, ohne Kastendenken. Auch wenn sie scheiterten, haben sie nicht nur einer Generation aufgezeigt, wie es vielleicht sein könnte bei uns auf Erden. Der überzeugte Camper von heute verengt seine Aufnahmefähigkeit weil er gar nicht mehr erfahren will. Ausgenommen neue Straßen und Landschaften, die nicht allzu anspruchsvoll sind. Ich mochte Camping noch nie, aber die Blumenkinder von damals waren mir schon immer sympathisch. Denn auszusteigen und gegen Rassismus, Ungerechtigkeit, Krieg und machtpolitischen Wahnsinn zu demonstrieren und zu leben - das erfordert Courage. Genau den Mut, der heutzutage fehlt in der Welt.

Also, Camper der Welt: Bier weggestellt, Joints rausgeholt und dann „Hippie-i-ye“, ihr könnt sie noch retten, die Welt. Wenn ihr es wollt…